Page 26 - Mein Leben, Ausgabe 3 2021
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IM GESPRÄCH MIT...
einzugehen sowie gemeinsam mögliche Lösungsansätze und -strategien zu finden.
Grundvoraussetzung für ein Entlastungsgespräch ist eine Vertrauensbasis zwischen den Gesprächspartnern sowie ein sicherer und geschützter Rahmen, damit die pflegen- den Angehörigen über ihre Sorgen, Ängste, Belastungen und auch Erfolgserlebnisse sprechen können.
Für mich ist es von absoluter Notwendigkeit, den oder die pflegenden Angehörigen dahingehend zu sensibilisie- ren, dass man Menschen nicht verändern kann – auch keine Person mit Demenz. Es gilt die eigene Wahrneh- mung und Haltung gegenüber Menschen, insbesondere dem Menschen mit Demenz, zu verändern. Ansonsten läuft man Gefahr, trotz guten Willens und fürsorglicher Absicht Frustration in der Betreuung zu erleben.
ML: Wie wirkt sich die COVID-19-Pandemie und die dadurch verordneten Kontaktbeschränkungen auf Personen aus, die von Demenz betroffen sind?
Alice Kroboth: Für Personen mit Demenz sind gewohn- te, vertraute Tagesstrukturen sowie bekannte Gewohn- heiten und Rituale existenziell. Sie geben ihnen Sicherheit, Stabilität und sind eine zentrale Stütze in ihrem Dasein. Die COVID-19-Pandemie hat gewohnte Routinen kom- plett auf den Kopf gestellt! Aufgrund der Pandemie ha- ben Ängste, Unsicherheiten und Sorgen innerhalb der Gesellschaft stark zugenommen. Da Menschen mit De- menz zunehmend in einer Gefühlswelt leben, haben auch sie diese Verunsicherungen gespürt und wahrgenommen, auch wenn sie das Risiko nicht mehr bewusst erfassen und verstehen konnten.
Diese Empfindungen begünstigten die Entwicklungen von unruhigen Gemütszuständen. Diese haben vor allem pflegende Angehörige als besonders stressig empfunden. Wichtige soziale Kontakte zu Bezugspersonen waren während der Kontaktbeschränkungen nur in Ausnahme- fällen möglich und meistens begrenzt. Angehörige haben neue, kreative und innovative Möglichkeiten entdeckt, um mit ihren Liebsten in Kontakt bleiben zu können.
Im Rahmen eines telefonischen Beratungsgespräches berichtete mir die Gattin eines Mannes mit beginnender Demenz, dass sie seit über 50 Jahren verheiratet sind und noch nie länger als sieben Tage voneinander getrennt waren. Durch einen Sturz brach sich ihr Gatte mehrere Rippen und wurde deshalb stationär in ein Krankenhaus eingeliefert. Aufgrund der Kontaktbeschränkung war es ihr nicht möglich, ihren Gatten zu besuchen. Dies war für sie sehr frustrierend, enttäuschend und sehr belastend.
Gemeinsam erarbeiteten wir eine Lösung, und die Dame schrieb nach einer sehr langen Zeit wieder einen Liebes- brief an ihren Gatten. Dieser erreichte ihn im Kranken- haus, und eine Pflegeperson las ihm diesen vor. Der Gat- te hatte aufgrund dieser unerwarteten liebevollen Worte
Tränen der Freude und Glückseligkeit in seinen Augen. Er war glücklich und zufrieden in seiner Welt.
Für die Selbstwahrnehmung und das Spüren der eige- nen Körpergrenzen sind Berührungen für Menschen mit Demenz von absoluter Notwendigkeit. Sei es durch eine Umarmung, das Halten einer Hand oder das Ausstrei- chen der Arme – eine Berührung berührt nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch auf Herzens- und See- lenebene. In Zeiten von Corona war dies eine große He- rausforderung. Es galt hier eine Balance zwischen Schutz und Zuwendung zu finden. (Es gibt hier keine allgemeine Antwort.)
Trotz all der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen und der weiterhin bestehenden Pandemie dürfen wir das Mensch-Sein nicht vergessen. Ein demenzfreundlicher und sensibler Umgang gehört weiterhin etabliert. Mir ist es ein großes Anliegen, dass Menschen mit Demenz wei- terhin als Teil unserer Gesellschaft gesehen werden.
ML: Vielen Dank für das Gespräch.
n Sie sind Angehörige/r einer demenzerkrankten Person und auf der Suche nach professioneller Unterstützung und Hilfe?
n Sie möchten mehr über die Erkrankung „Demenz” wissen, um die betroffene Person besser verste- hen zu können?
n Sie fühlen sich kraftlos oder ausgelaugt und be- nötigen eine Auszeit?
Dann sind Sie bei mir genau richtig. Ich freue mich auf Sie!
daSeinsFreude - Alice Kroboth
Tel.: +43664/104 43 23 | www.daseinsfreude.org
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