• Home
  • Hallo Doc!
  • Injektionstherapie bei Diabetes mellitus Typ 2 muss nicht immer Insulin sein

Injektionstherapie bei Diabetes mellitus Typ 2 muss nicht immer Insulin sein

In der Therapie unserer PatientInnen mit Diabetes Typ 2 waren lange Zeit zwei verschiedene Tablettenformen (Metformin und Sulfonylharnstoffe) gefolgt von Insulin die gesamten medikamentösen Möglichkeiten, die wir in der Behandlung zur Verfügung hatten. Heute haben wir nicht nur sehr spannende weitere Tabletten in unserem „Medikamentenkoffer“, neue spannende Insuline (weil weniger Hypoglykämie provozierend, stabiler in der Wirkung, damit auch berechenbarer), sondern vielmehr eine ganze innovative Gruppe an Injektionstherapien, die keine Insuline beinhalten und weit mehr als nur BZ senken können. Wir sprechen dabei von der Familie der GLP-1-Agonisten.

 

Dabei handelt es sich auch um ein Hormon, das sogar ähnlich klingt. Es gehört zur Gruppe der Inkretine. Dieses Hormon beeinflusst viele Bereiche in unserem Körper. Es regt die sogenannte Betazelle der Bauchspeicheldrüse an, Insulin auszuschütten, und hemmt gleichzeitig die Ausschüttung von Glukagon, dem Gegenspieler von Insulin aus der Alphazelle ebendieses Organes. Zusätzlich wird die Magenentleerung verlangsamt und dadurch der allzu rasche BZ-Anstieg nach einer Kohlenhydratmahlzeit (BE) verzögert. Einen der wichtigsten Begleiteffekte zeigt dieses Hormon allerdings auf das Appetitzentrum, da es dieses Zentrum blockierend beeinflusst und somit sowohl eine Appetitreduktion als auch ein früheres Sättigungsgefühl zu erreichen hilft.

 

Es stehen uns heute mehrere Möglichkeiten in dieser Therapieschiene zur Verfügung, wobei vor allem zwischen der einmal täglichen und der einmal wöchentlichen „Spritze“ unterschieden werden muss. Drei Substanzen werden hier aktuell in erster Linie eingesetzt. Liraglutid (Victoza®), Dulaglutid (Trulicity®) und seit Kurzem am Markt die Weiterentwicklung – auch Semaglutid (Ozempic®) stehen uns dabei zur Verfügung. Die heute eher nur mehr sehr selten eingesetzten Substanzen Exenatid (Byetta® und Bydureon®) und Lixisenatid (Lyxumia®) seien der Vollständigkeit halber jedoch auch erwähnt. Von allen drei häufiger verwendeten Substanzen erwarten wir die oben genannten Effekte auf den Blutzucker und die beschriebenen positiven Zusatzeffekte im Bereich der Verdauung und des Appetites. 

 

Die Anwendung dieser Therapieoption hat zusammengefasst hinsichtlich der BZ-Einstellung mehrere in der Alltagspraxis gut dokumentierte Erfolge aufzuweisen. Allen voran führt eine zeitgerechte Einbindung dieser Substanzen, das heißt bei noch ausreichender Insulinrestfunktion, zu einer eindrucksvollen Verbesserung der BZ-Stoffwechsellage (deutlich besser als mit den Tabletten aus der DPP4-Hemmer-Gruppe, die den Abbau des körpereigenen Inkretins verzögert). Gleichzeitig beobachten wir den sehr positiven Effekt auf die Gewichtssituation. Da das Übergewicht bzw. die Adipositas bei vielen unserer von Diabetes Typ 2 Betroffenen eines der zentralen „Begleitprobleme“ darstellt, ist dieser positive Zusatzeffekt natürlich von allergrößtem Vorteil. Bisher haben wir zwar einige auch gewichtsneutrale Medikamente zur Verfügung, allerdings nur zwei, die eine nachgewiesene gewichtsreduzierende Wirkung mit sich bringen: die zuvor genannten GLP-1-Agonisten und die Tabletten aus der Gruppe der SGLT-2-Hemmer (Jardiance® und Forxiga®).

 

An dieser Stelle möchte ich aber auch besonders auf die weiteren positiven Zusatzeffekte hinweisen, die sich einerseits auf das Herz (Reduktion der Herzinfarkte etc.), andererseits auf die Reduktion des Risikos für Schlaganfälle und auch auf eine positive Beeinflussung der Nierenfunktion auswirken. Hier gibt es in den Studien gewiss Unterschiede im Detail, grundsätzlich zieht sich aber ein positiver Effekt durch alle diese Studien. 

 

Nun gibt es in jeder medikamentösen Therapiestrategie niemals eine, die keinerlei potenziell negative Nebenwirkungen aufweist, sodass ich an dieser Stelle auch auf die mit dieser Medikation möglichen unerwünschten Wirkungen hinweisen möchte und gleich ein paar Tipps zur Vermeidung oder Verbesserung dieser Effekte mitgeben möchte.

 

In erster Linie sind Übelkeit und Völlegefühl, eher selten Durchfall und Stuhlunregelmäßigkeit, zu beobachten, auch milde asymptomatische reversible Erhöhungen der Lipase und Pankreasamylase (Laborwerte aus dem Bereich der Bauchspeicheldrüse) sind dokumentiert. Hier kann ein kurzes Pausieren Besserung schaffen. Insgesamt ist hier jedoch das langsame Einschleichen der Therapie (bei einmal wöchentlich in der Dosis nicht veränderbarem Präparat) anzuraten – eventuell am Beginn nicht alle 7 Tage, sondern vielmehr alle 10 bis 14 Tage zu spritzen wäre hier eine gangbare Option. Bei anderen kann eine langsame Dosissteigerung dieses Problem oft vermeiden helfen, da man auch hier durchaus länger bei einer niedrigeren Dosis verbleiben kann. Um jedoch die zuvor genannten positiven Zusatzeffekte voll zu nützen, sollte man schon versuchen, die maximale Zieldosis zu erreichen. 

 

Ob jetzt die Wahl auf einmal täglich oder einmal wöchentlich fällt, hängt auch ein wenig von der Therapiegenauigkeit der PatientInnen ab. Es gibt sicher einige, die eher den täglichen Rhythmus bevorzugen und die wöchentliche Injektion eventuell vergessen könnten, andere wiederum sind glücklich über die nur einmal wöchentliche Gabe! Letztendlich möge sich jeder/jede mit ihrer betreuenden Ärztin/ihrem betreuenden Arzt besprechen, welche der heute zur Verfügung stehenden Therapieoptionen für sie/ihn persönlich die geeignetste ist. Wichtig ist, dass die Therapie all ihre positiven Effekte entfalten kann, und dies hängt natürlich wie so oft von einer regelmäßigen Anwendung ab! 

 

Dies gilt besonders auch für die Gewichtsreduktion, wobei hier die laufende Weiterentwicklung in dieser Substanzgruppe immer höhere gewichtsreduzierende Wirkungen erzielen hilft, aber natürlich die konsequente Anwendung einer der Schlüssel zum Erfolg darstellt.

 

In der Zukunft erwarten wir hier noch effizientere Substanzen. Eine der entschiedensten Fragen ist jedoch, wann und bei wem ich diese Therapie einsetze. Hier gilt wie so oft in der Medizin vor allem: „rechtzeitig“. Es ergibt Sinn, diese Medikation in die Therapie so früh wie möglich einzubinden, sobald eine reine Lebensstil- und begonnene Tablettenstrategie keinen ausreichenden Erfolg gebracht hat. Vor allem aber müssen die Begleiterkrankungen mitberücksichtigt werden, und wenn Übergewicht oder aber auch kardio- und speziell auch zerebrovaskuläre Vorerkrankungen bestehen, sollte nicht lange gezögert werden, damit zu beginnen.


Gerade in diesen Fällen können diese Injektionstherapien eine deutliche Verbesserung der Begleiterkrankungen bewirken.

 

Nicht nur die unten angeführten kontrollierten Studien, auf deren Basis wir unsere aktuellen Therapieleitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft verfassten, untermauern diese Empfehlung, sondern vielmehr auch mittlerweile im großen Umfang vorliegende Erfahrungen im klinischen Alltag (Real-World-Daten). 

 

Die Gruppe der GLP-1-Agonisten können leitliniengerecht mit vielen innovativen und auch bereits lang bewährten Medikamenten inkl. Insulin erfolgreich kombiniert werden. Besonders auch die Kombination mit Insulin im weiteren Verlauf der Karriere eines vom Typ 2 betroffenen Diabetikers/einer vom Typ 2 betroffenen Diabetikerin kann die Stoffwechsellage weiter verbessern, Insulin sparen helfen und vor allem die oft gefürchtete Gewichtszunahme unter Insulin hintanhalten. 
 
Abschließend möchte/muss ich leider doch noch auf Punkte im Zusammenhang mit dieser so erfolgreichen neuen Therapieoption hinweisen. Aufgrund der „Verschreibungsvorgaben“ können derzeit nur Fachärztinnen und Fachärzte für Innere Medizin, Fachabteilungen und Fachambulanzen die Erstverordnung durchführen, die dann von den Kontrollärztinnen und Kontrollärzten der Krankenkassen überprüft und bewilligt wird. Dafür müssen leider manche für uns nicht nachvollziehbare Begründungen vorliegen. So muss der/die Betroffene einen BMI über 30 kg/m2 und einen HbA1c über 8 % aufweisen und muss zuvor bereits zwei Diabetesmedikamente in Verwendung gehabt haben. 

 

Da es natürlich absolut an unseren Leitlinien und Zielvorgaben vorbeiläuft, „nur“ diese PatientInnengruppe zu erfassen, bleibt uns Ärztinnen und Ärzten oft nichts anderes übrig, als mit all der uns zur Verfügung stehenden Überzeugungskraft bei den Kontrollärztinnen und Kontrollärzten zu argumentieren, um die Bewilligung für diese innovative Therapie zu erreichen. 

 

Ziel ist und bleibt es, den betroffenen DiabetikerInnen diese nicht nur unmittelbar den Blutzucker, sondern vielmehr viele den Diabetes begleitende Problemfelder positiv beeinflussenden Therapien zeitgerecht und wirksam zu ermöglichen.

Ich darf an dieser Stelle bereits auf die nächste Ausgabe des Heftes hinweisen, wo wir uns speziell mit der Gewichtsthematik bei Diabetes mellitus Typ 2 befassen wollen. Welchen Einfluss hat Insulin? Was können wir Ärztinnen und Ärzte und was die Betroffenen selbst versuchen?

 

Wissenswertes:

 

Bei GLP-1-Rezeptor-Agonisten handelt es sich um synthetisch hergestellte Polypeptide, die wie das natürliche Peptidhormon GLP-1 an den GLP-1-Rezeptor binden, aber eine verlängerte Halbwertzeit haben. Sie stimulieren die Sekretion von Insulin und hemmen die Ausschüttung von Glucagon.

 

Es gibt derzeit drei gängige Wirkstoffe welche dieses Wirkprinzip aufweisen, jedoch in Einzelbereichen unterschiedlich positive Ergebnisse liefern. Darüber hinaus gibt es weitere Produkte, welche auf nicht-synthetischer Herstellung beruhen.

 

Und last, but not least, gibt es bereits ein Präparat mit dem Wirkstoff Semaglutid, welches oral verabreicht werden kann, und keine Injektionstherapie notwendig macht! Allerdings ist dieses in Österreich noch nicht erhältlich und wartet derzeit auf die Zulassung.

 

Sie sehen, die Spezialisten aus der Gruppe der GLP-1 Agonisten sind gar nicht so wenige, und bestimmt ist diese Entwicklung noch lange nicht am Ende.

Dulaglutid (Trulicity®)

Lixisenatide (Lyxumia®)

Liraglutid (Victoza®)

Exenatide (Byetta® und Bydureon®) (biotechnologisch hergestelltes Polypeptid, das im Speichel der nordamerikanischen Gila-Krustenechse gefunden wurde.)

Semaglutid (Ozempic®)

 

Quellen: Diabetes-Leitlinien der ÖDG, SUSTAIN-, REWIND- und LEADER-Studienpublikationen

Dr. Schelkshorn

Prim. Dr. Christian Schelkshorn

seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener 
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe

Auch oft gelesen:

Artikel teilen

Mein Leben plus

Verpassen Sie nichts. Melden Sie sich noch heute zu unserem Newsletter an!