Herta M. kommt zur Ernährungsberatung in die Diabetesambulanz. Sie hat im Internet gelesen, dass Zimt den Blutzucker senken soll, und erkundigt sich nach natürlichen Alternativen zu herkömmlichen oralen Antidiabetika. Sie ist mit ihrem Anliegen nicht allein. Umfragen zufolge verwendet rund ein Drittel der Diabetiker Nahrungsergänzungsmittel, oft ohne vorher Rücksprache mit dem Arzt zu halten.
Naturheilkunde erfreut sich großer Beliebtheit
Der Trend hin zur Ursprünglichkeit, zu Natursubstanzen und „Superfoods“ macht auch vor der Medizin nicht halt.
Vielleicht erinnern auch Sie sich gerne an Omas „Hausmittel“, die bei Wehwehchen aller Art zur Anwendung gekommen sind: Kamillentee bei Bauchweh, Arnikaeinreibungen bei Muskelschmerzen oder Spitzwegerich-Sirup bei hartnäckigem Husten. Auch gegen erhöhte Blutzuckerspiegel kennt die traditionelle Volksmedizin rund um den Erdball zahlreiche pflanzliche Mittel. In der TCM werden Ginseng, Ingwer oder Ginkgo zur Blutzuckersenkung verwendet, im Ayurveda Kurkuma, Neem, Tulsi und Gurmar und in der traditionellen europäischen Heilkunde (TEH) Bockshornklee, Leinsamen und Mariendistel. Doch wie sieht es mit der medizinischen Wirkung dieser Pflanzen tatsächlich aus?
Der Unterschied zwischen Arzneimitteln und naturheilkundlichen Präparaten
Dazu muss grundsätzlich festgehalten werden, dass zugelassene Arzneimittel in klinischen Studien auf ihre Wirksamkeit überprüft und strengen Sicherheitsprüfungen unterzogen werden. Für viele pflanzliche Mittel, so genannte Phytotherapeutika, fehlen diese wissenschaftlichen Wirkungsnachweise. Pflanzliche Präparate enthalten Mischungen aus vielen Stoffen, die sich nur schwer standardisieren lassen. Schon die Wachstumsbedingungen der Pflanze beeinflussen ihren Wirkstoffgehalt. Sie werden am Menschen oft nur in kleinen Studien mit wenigen Teilnehmern getestet.
Lösliche Ballaststoffe
Sehr empfehlenswert sind lösliche Ballaststoffe aus Leinsamen, Flohsamen, Maisdextrin oder Guarbohnen. Sie wirken physikalisch auf den Blutzuckerspiegel, indem sie den Zucker im Magen und im Darm binden und die Aufnahme ins Blut verzögern. Mit einer Tagesdosis von 10–30 g Flohsamen lässt sich der HbA1c-Wert um ca. 1 % senken. Mit 5–15 g Guarkernmehl werden die postprandialen Blutzuckeranstiege im Mittel um 35 % verringert. Leinsamen und Flohsamen sind in vermahlener Form im Lebensmittel- und Drogeriehandel erhältlich. Ballaststoffpräparate aus Maisdextrin können ebenfalls im Lebensmittelhandel bezogen werden, auf Basis von Guarbohnen in der Apotheke. Alle Produkte lassen sich gut in Naturjoghurt, Sojajoghurt, Sauermilch oder Kefir einrühren (Dosierungsempfehlung: 1 Teelöffel bis 1 Esslöffel). In Kombination mit fruchtzuckerarmen Beeren wie Himbeeren oder Heidelbeeren lässt sich ein diabetesgerechtes Frühstück oder eine süße Nachspeise zubereiten.
Pflanzliche Präparate
Das bekannteste pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel bei Diabetes ist Zimt. Pharmakologisch wirkt Zimt, indem er die Insulinfreisetzung stimuliert und die Zuckeraufnahme in die Zelle verbessert. Zimt kann als Gewürz, wässriger Extrakt (Tee) oder in Kapselform eingenommen werden. Er sollte aber auf keinen Fall überdosiert werden, denn der Inhaltsstoff Cumarin wirkt in höheren Dosen leberschädigend. Eine Person mit 80 kg sollte maximal 1 Teelöffel Zimt pro Tag einnehmen.
Die Samen des Bockshornklees werden als Bestandteil von Currymischungen weit verbreitet verwendet. Als Kapsel, Pulver, Tee oder Tropfen in hoher Dosierung (5–15 g Pulver oder 1 g alkoholischer Auszug pro Tag) eingenommen, kann Bockshornklee den HbA1c-Wert verbessern, den Nüchternblutzucker senken und die postprandialen Blutzuckerspitzen verringern. Als Nebenwirkung werden gastrointestinale Beschwerden und eine gewisse Hypogefahr bei Insulintherapie beschrieben, da die Inhaltsstoffe die Zuckeraufnahme ins Gewebe fördern.
Tulsi (indisches Basilikum) wird vor allem im Ayurveda als Tee getrunken. Es wirkt nicht nur antioxidativ, sondern fördert auch die Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse. In einzelnen Studien werden weitere positive Wirkungen beschrieben: Tulsi senkt die postprandialen Blutzuckerwerte und verbessert auch Blutfettwerte und Blutdruck. Richtwerte für die Einnahme sind ½ l Tee pro Tag oder 250–3.000 mg in Kapsel- oder Pulverform.
Die Studienlage zur Wirkung von Ginseng bei Diabetes ist aufgrund des unterschiedlichen Wirkstoffgehalts der untersuchten Präparate widersprüchlich. Es sind viele Wechselwirkungen mit anderen Medikamentenwirkstoffen (u. a. Warfarin) bekannt, weshalb man von der Einnahme abraten muss.
Kurkuma ist ein stark färbendes Gewürz und im Modegetränk „Kurkuma latte“ in großer Menge enthalten. Der Hauptwirkstoff ist Curcumin, das verdauungsanregend, antioxidativ und entzündungshemmend wirkt. Die Bioverfügbarkeit ist sehr gering, d. h., der Wirkstoff wird im Magen-Darm-Trakt nicht ausreichend in verwertbarer Form aufgenommen. Einzelne Studien deuten auf eine leichte Verbesserung von Nüchternblutzucker und HbA1c hin.
Die Bittergurke (Momordica charantia) wird traditionell in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern als Frucht, Saft oder Tee verzehrt. Sie soll die Insulin-
ausschüttung positiv beeinflussen und die Aufnahme von Glukose in die Zelle fördern. Einzelne Studien beschreiben eine Senkung des Nüchternblutzuckerwertes, diesbezüglich sind aber noch weitere Forschungsarbeiten notwendig.
Fazit – Empfehlung ja oder nein?
Phytotherapeutika sind kein Ersatz für eine Standardtherapie mit Insulin oder oralen Antidiabetika. Sie können aber unterstützend wirken, wenn sie mit einer Lebensstilintervention kombiniert werden. Grundlegende Diätfehler wie Konsum von Weißmehlprodukten oder flüssigem Zucker in Form von Getränken werden durch die Einnahme von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln nicht ausgeglichen. Die Einhaltung geeigneter Portionsgrößen, ein Gemüsekonsum von mindestens drei Händen voll pro Tag und eine hohe Ballaststoffaufnahme bleiben die Basis einer diabetesgerechten Ernährungsweise. Bauen Sie täglich ballaststoffreiche Gemüsesorten (z. B. Brokkoli, Paprika oder Kraut), ganze Getreidekörner, Nüsse, Samen und Hülsenfrüchte (Erbsen, Linsen, Bohnen) in Ihren Speiseplan ein!

Prim. Dr. Christian Schelkshorn
seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe