Chronobiologie: Der richtige Zeitpunkt des Essens

„Piep, piep, piep, piep …“ – 6:15, der Wecker klingelt gefühlt viel zu laut. Schnell noch die Snooze-Taste betätigt und noch einmal, nur kurz, umgedreht. Als das nächste Mal müde auf die Leuchtziffern des Weckers gelinst wird, ist es schon kurz nach 7:00 Uhr. Jetzt muss es aber schnell gehen. Frühstück geht sich keines mehr aus, ein Espresso muss reichen. In der Arbeit wird, bevor der Computer hochgefahren wird, auch auf den Knopf der Kaffeemaschine gedrückt. Aha, eine offene Packung Kekse liegt da so verlockend herum. Passen eh gut zum Kaffee! Schnell verschwindet ein Keks im Mund, und weil es so gut schmeckt, werden noch ein paar weitere zum Arbeitsplatz mitgenommen, für zwischendurch. Bei jedem Gang zur Kaffeemaschine wird dann, vielleicht auch unbewusst, in die Kekspackung gegriffen. Zu Mittag ist es dann Zeit für die Kantine. Heute gibt es Spaghetti Bolognese. Der große Teller Nudeln wird schnell gegessen, es ist ja nur eine halbe Stunde Mittagspause. Wieder in der Arbeit führt der Weg am vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Obstkorb vorbei. Noch schnell ein Espresso mit Keks, bevor die Arbeit weitergeht. Nachmittags werden der Apfel und die Banane gegessen, schließlich kamen heute die Vitamine noch etwas zu kurz. Abends zu Hause wird nur schnell ein Salat zubereitet. Die Nudeln zu Mittag waren eine große Portion, und einmal am Tag etwas Warmes reicht ja schließlich. Dann vor dem Fernseher kommt einem die offene Chips-Packung in den Sinn. Auch wenn zuerst versucht wird, ihr zu widerstehen, wird schließlich doch eine kleine Schüssel geholt, und dann vielleicht noch eine zweite, und …


Finden Sie sich hier wieder? Vielleicht gestaltet sich so oder so ähnlich Ihr Tagesablauf? Oder wenn Sie gerade von zuhause aus arbeiten, fällt der Weg zum Kühlschrank möglicherweise noch leichter. Beobachten Sie sich einmal: Wie oft greifen Sie zwischen den Hauptmahlzeiten zu einer Kleinigkeit? Auch wenn Ihre innere Uhr gar nicht fürs Essen bereit ist und sie gar keinen Hunger verspüren?


Die Chronobiologie beschreibt den Einfluss der Zeit auf unseren Körper. Alle unsere Zellen funktionieren durch einen bestimmten Rhythmus: die sogenannte „biologische innere Uhr“. Diese bestimmt, wann wir beispielsweise müde werden und aufwachen, wann wir essen und verdauen. Unsere heutige Lebensweise läuft leider immer häufiger dieser inneren Uhr zuwider, was auf Dauer Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat.


Unser Körper und somit unsere Zellen sind von einem chronobiologischen Rhythmus gesteuert. Der stärkste Einflussfaktor ist das Licht. Der Tag-Nacht-Rhythmus ist der Haupttaktgeber, von dem andere rhythmische Vorgänge in unserem Körper abhängig sind bzw. sich gegenseitig beeinflussen. Relevant sind hierbei die Hormone Melatonin und Cortisol. Melatonin wird in der Nacht ab ca. 23:00 Uhr bei vollkommener Dunkelheit gebildet und gibt die Information „Nachtruhe“ an alle Organe und Körperfunktionen weiter, die sich auch darauf einstellen. Kleinste Lichtimpulse, wie z. B. die Leuchtziffern des Weckers können die Melatoninproduktion gravierend stören.


Melatonin bewirkt, dass wir müde werden. Sein Gegenspieler ist das Cortisol. Dieses Hormon sorgt dafür, dass wir aktiv werden. Die Ausschüttung von Cortisol aus der Nebenniere beginnt um ca. 4:00 Uhr und unterstützt uns ein paar Stunden später beim Aufwachen. Die Produktion von Cortisol geht anschließend bis um Mitternacht kontinuierlich zurück. Dieser rhythmische Ablauf lässt sich nicht täuschen. SchichtarbeiterInnen müssen bei Tageslicht und hohem Cortisol-Spiegel schlafen und erleben dies oftmals als ein Dilemma, da sie mehrere Tage brauchen, um sich auf den neuen Rhythmus umzustellen.


Unsere Organe werden allerdings nicht nur durch den Tag-Nacht-Rhythmus beeinflusst: Auch unsere Ernährung spielt dabei eine wichtige Rolle. Hormone, die den Stoffwechsel, Hunger und Sättigung steuern, werden durch zirkadiane Rhythmen gelenkt. Hierbei sind Cortisol, Ghrelin, Insulin und Leptin von Bedeutung.


Cortisol aktiviert den Stoffwechsel, es reguliert den Kohlenhydrathaushalt, indem dem Körper vermehrt Energie bereitgestellt wird und der Blutzucker ansteigt. Ebenso hat Cortisol einen Einfluss auf den Fett- und Proteinstoffwechsel. Der Cortisol-Spiegel ist in der Früh am höchsten und sinkt bis zur Nacht stetig ab. So verbleibt beispielweise ein ausgiebiges, sehr spätes Abendessen im Magen. Dies kann wiederum den Schlaf stören, und möglicherweise entfällt dadurch auch das Frühstück.


Ghrelin ist ein appetitanregendes Hormon, es teilt uns tagsüber ca. alle 6 Stunden mit, dass es wieder Zeit zum Essen wäre. Nach dem Essen sinkt der Ghrelin-Spiegel ab und steigt nach 6 Stunden wieder an: Wir verspüren wieder Hunger. Bei einer eiweißreichen Mahlzeit sinkt der Ghrelin-Spiegel schneller ab und steigt später wieder an: Wir sind demnach länger satt. 


Der Gegenspieler von Ghrelin ist das Hormon Leptin. Dieses steuert unser Sättigungsgefühl. Da dieses Hormon seinen Höchstwert im Zeitraum von Mitternacht bis in der Früh erreicht, sollten wir während der Nacht keinen Hunger verspüren.


Beim Essen spielt das Insulin eine wichtige Rolle. Auch dieses Hormon wird, unabhängig von der Nahrungsaufnahme, nach eigenen rhythmischen Abläufen ausgeschüttet. Allerdings ist die Insulinproduktion auch von der Mahlzeitenzusammenstellung abhängig. Wenn zu viel Insulin produziert wird, wird die nicht benötigte Energie in Form von Fett gespeichert.  


Wird zwischen den 3 Hauptmahlzeiten immer wieder – wenn auch „nur“ eine Kleinigkeit – gegessen, produziert unser Körper in kontinuierlichem Ausmaß zu viel Insulin, und unsere Fettdepots nehmen weiter zu. Konsequenterweise werden dann die beiden anderen Hormone Ghrelin und Leptin in ihrem chronologisch getakteten Zusammenspiel gestört. Hinzu kommt, dass sich unser Körper merkt, wann wir Zwischenmahlzeiten eingenommen haben, und wir verspüren am nächsten Tag zur selben Zeit wieder ein Verlangen nach einer „Kleinigkeit“ – ein Teufelskreislauf.


Für eine optimale Abstimmung auf die Chronobiologie unseres Körpers und unserer Hormone kommt es in besonderem Maße auf den Zeitpunkt und die Zusammenstellung unserer Mahlzeiten an. Was und wann wir essen, ist von essenzieller Bedeutung und trägt nachweislich zu unserem Wohlbefinden und unserer Gesundheit bei.


Wenn wir nun dem Takt unserer Hormone folgen wollen, ist die Einnahme von mehreren kleinen Mahlzeiten kontraproduktiv und bringt die rhythmische Abfolge unserer inneren Uhr aus dem Gleichgewicht. Unsere Zellen benötigen Insulin, um mit Glukose versorgt zu werden. Wenn wir immer wieder kleine Zwischenmahlzeiten oder auch gezuckerte Getränke zu uns nehmen – sei es auch nur ein Keks, ein Apfel oder ein Glas gespritzter Apfelsaft –, wird unser Körper mit Glukose quasi überversorgt. Diese überschüssige Energie wird als Fett gespeichert und führt zwangsläufig zu einer Gewichtszunahme. Es ist somit empfehlenswert, ein Auskommen mit 3 Mahlzeiten (Frühstück, Mittagessen und Abendessen) einzuhalten. Zwischen den einzelnen Mahlzeiten sollten ca. 5 Stunden liegen und ausschließlich ungesüßte Getränke konsumiert werden. Zwischen Abendessen und Frühstück sollten idealerweise 12 Stunden liegen. 


Das Frühstück ist ein wichtiger Start in den Tag. Im Allgemeinen gilt Müsli als empfehlenswert. Beispielsweise können grobe Haferflocken, 1 Handvoll Beeren, 1 EL Nüsse und Samen zusammen mit Naturjoghurt vermischt werden. Die Haferflocken können über Nacht in Wasser eingeweicht werden. Wenn Sie lieber Brot essen, entscheiden Sie sich für 1–2 Scheiben grobes Vollkornbrot mit Belag. Als Belag kann z. B. eine Scheibe Käse oder ein selbstgemachter Topfenaufstrich verwendet werden (im letzten Heft wurde ein köstlicher Leinöltopfen beschrieben). Auch ein Aufstrich aus Hülsenfrüchten kann eine Alternative darstellen; dazu frische Kräuter, wie beispielsweise Schnittlauch oder Kresse, und aufgeschnittenes frisches Gemüse.


Beim Mittag- und Abendessen sollte immer eine große Portion Gemüse und/oder Salat dabei sein – mindestens die Hälfte Ihres Tellers. Dazu sollte maximal eine Handvoll Beilage gegessen werden, welche bevorzugt aus Vollkorn bestehen sollte, zum Beispiel Naturreis, Vollkornnudeln oder Bulgur. Diese Handvoll Beilage und den Salat und/oder das Gemüse kombinieren Sie noch mit einer Eiweißportion. Dies kann beispielweise ein Stück Lachsfilet oder ein Stück Fleisch, ohne Panier angebraten, sein. 


Versuchen Sie, nur maximal 3 Mal in der Woche Fleisch zu essen. Bedenken Sie, dass bei diesen 3 Fleischportionen Schinken und Wurstwaren miteinzurechnen sind. Geben Sie daher vegetarischen Gerichten öfters den Vorzug! So kann beispielsweise bei einer Bolognesesauce das Faschierte durch rote Linsen ersetzt werden.


Unser Körper ist nach einem bestimmten Rhythmus getaktet, deshalb sollten wir versuchen, unseren Tagesablauf danach zu richten, um langfristig einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit sicherzustellen. Eine diesbezügliche Ernährungsumstellung lohnt sich aus den oben beschriebenen Gründen nachhaltig!

Dr. Schelkshorn

Prim. Dr. Christian Schelkshorn

seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener 
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe

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