Wer wünscht sich bei Diabetes keine stabilen Blutzuckerverläufe, die zu einem guten HbA1c-Wert beitragen? Da aber viele Faktoren Einfluss auf unsere Blutglukose nehmen, ist es nicht immer einfach, die geforderten Zielwerte zu erreichen. Allzu viele Anforderungen werden gestellt, und häufig sind widersprüchliche Empfehlungen zu lesen – insbesondere beim Thema Ernährung! Jeder Blutzucker-wert im Zielbereich ist eine Meisterleistung!
Bei Diabetes dreht sich vieles ums Essen. Hierbei spielt die Diabetesform keine wesentliche Rolle. Menschen mit Typ-1-DM schätzen und wiegen ihre kohlenhydrathaltigen Lebensmittel ab, um die zu spritzende Insulinmenge zu berechnen und so „Zucker-Eskapaden“ möglichst aus dem Weg zu räumen. Und bei Typ-2-DM kann durch eine gezielte Auseinandersetzung mit den Nahrungsmitteln sogar ein Rückgang der Erkrankung erreicht werden, vorausgesetzt, der hohe Blutzucker wird nicht einfach „weggespritzt“, sondern an seiner Ursache behandelt.
Sind es nun die Kohlenhydrate, auf die es aufzupassen gilt, oder sollte doch besser Fett eingespart werden?
Diese Frage beschäftigt Betroffene ebenso wie Experten. Kohlenhydrate sind – anders als Eiweiß und Fett – nicht zwingend mit der Nahrung aufzunehmen. Denn bestimmte Organe können ausschließlich Glukose (Traubenzucker) verwerten, und daher kann der Körper diese auch selbst aus Fett und Eiweiß bilden. Allerdings ist eine kohlenhydratfreie Ernährung kaum umsetzbar und auch nicht sinnvoll. Bei hohen Blutzuckerwerten ist es jedoch von Vorteil, die Kohlenhydratzufuhr gezielt zu reduzieren, sind sie doch Auslöser für die Blutzuckerspitzen.
Bei der Verdauung werden Zucker und Stärke vergleichsweise schnell zu Glukose abgebaut und im Körper unterschiedlich verwertet. Einheitliche Zufuhrempfehlungen für alle Menschen sind daher schwer möglich, denn entscheidend ist, was der Körper mit den Kohlenhydraten anzufangen weiß. Entweder verbrennt er sie bei Aktivität zur Energiegewinnung in der Muskulatur, oder er speichert sie in Form von Fett für „schlechte Zeiten“.
Die zwei Wege der Glukose im Körper
1. Weg Diesen Weg sah die Natur ursprünglich für den Zuckerabbau vor. Er führt direkt zu unseren Muskeln, allerdings nur, wenn diese auch beansprucht werden. Der Blutzucker wird bei Muskelarbeit zur Energiegewinnung abgebaut – vergleichbar mit Holz, welches in einem Ofen verbrannt wird. Die Erfahrung, dass nach der Muskelarbeit der Blutzucker sinkt, ist vielen bekannt. Was aber passiert mit dem Zucker bei Inaktivität?
Die Glukose wird sich in diesem Fall für den 2. Weg entscheiden – notgedrungen! Der Zucker landet nun in der Leber, und da diese kaum über eine Zucker-Lagerkapazität verfügt, bleibt ihr keine andere Wahl, als diesen in Fett umzuwandeln (die Triglyzerid- und Leberwerte steigen häufig an).
Die nichtalkoholische Fettleber (NAFLD)
Wird der hohe Blutzucker nicht verbrannt, kommt es zu untypischen Fetteinlagerungen in der Leber, die als NAFLD bezeichnet werden (= nichtalkoholische Fettleber), und somit ist früher oder später auch mit erhöhten Leberwerten im Labor zu rechnen. Bei einer Ultraschalluntersuchung sind die Fetteinlagerungen der Leber meist gut sichtbar. Jedoch ist dann bereits mehr als 250 g Leberfett vorhanden – das entspricht einem ganzen Stück Butter.
Auch Nachbarorgane leiden unter dieser unnatürlichen Verfettung, insbesondere die Bauchspeicheldrüse. Dies führt zur Insulinresistenz (Insulin wirkt nicht mehr richtig) und in weiterer Folge zum Typ-2-Diabetes – die genetische Veranlagung vorausgesetzt.
Den hohen Zucker einfach wegspritzen?
„Spritze ich nur genügend Insulin, so ist der Blutzucker ganz schnell wieder im Normalbereich!“
Falls bei Typ-2-Diabetes (mit Insulinresistenz) Insulin zur Zuckersenkung gespritzt wird, sollte die Frage gestellt werden: „Wo spritze ich den hohen Zucker hin?“
Die Antwort ist mittlerweile klar: Insulin senkt zwar den Blutzucker, aber dies bedeutet nicht, dass sich dieser in Luft auflöst oder von den Muskelzellen verbrannt wird. Ohne ausreichende Bewegung wird er von der Leber vermehrt in Fett umgebaut (NAFLD) und im Bauchraum und innerhalb der Bauchorgane eingelagert. Das Körpergewicht steigt weiter an. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Gewichtsabnahme nahezu unmöglich. Diese Erkenntnis führte dazu, dass die europäische Diabetesbehandlungsleitlinie bereits 2018 eine Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes (einhergehend mit Insulinresistenz und erwünschter Gewichtsreduktion) als letztmögliche Behandlungsoption einstufte.
Merke: Bei niedrigen Insulinspiegeln wird das ersehnte Abnehmen leichter möglich. Hierzu braucht es eine Kost, die den Blutzuckerspiegel flach hält, und idealerweise ein angebrachtes Maß an Bewegung.
Bei einem absoluten Insulinmangel, wie das bei Typ-1-Diabetes oder manchmal auch bei Typ-2-Diabetes im hohen Alter der Fall ist, stellt die Insulintherapie natürlich im Mittelpunkt der Behandlung. Ob eine Insulinresistenz besteht, kann im Blut (mittels HOMA-Index bzw. C-Peptid) gemessen werden.
Abnehmen verbessert die Zuckerwerte und kann einen Typ-2-Diabetes verbannen
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt hierzu aktuell zwei Diätmodelle:
- Low Carb
- traditionelle mediterrane Diät wie in den 1970er-Jahren auf Kreta (ebenfalls kohlenhydratreduziert)
Entscheiden sich also Betroffene für eine Ursachenbekämpfung von hohen Zuckerwerten, mit dem Ziel, die Medikamentendosis zu reduzieren (so empfiehlt es die US-amerikanische Diabetesgesellschaft), dann wäre folgende Ernährungsstrategie angebracht:
Frühstück
Eiweißbrot (ca. 80 % weniger Kohlenhydrate und besonders ballaststoffreich) mit Frischkäse, Kresse, Tomaten und Paprika sowie ein cremiges Naturjoghurt mit Erdbeeren, Himbeeren oder Heidelbeeren, Nüsse
Mittagessen
Lachsforelle mit Zitronensoße, gelbe Zucchininudeln und Broccoli-Röschen; als Nachtisch Edelbitter-Schokolade mit > 80 % Kakaoanteil.
Abendessen
Omelette mit sonnengetrockneten Tomaten und Champignons; dazu ein Vogerlsalat mit Käferbohnen und Oliven-Balsamico-Dressing, eine Scheibe Eiweißbrot
Dieses Menübeispiel verhindert einen Blutzuckeranstieg nach dem Essen. Entsprechend muss bei dieser Ernährungstherapie die Anpassung der Medikamente vorher mit dem/der behandelnden Arzt/Ärztin abgestimmt werden.
Eine ernährungsmedizinische Behandlung fordert jedoch nicht nur eine Veränderungsbereitschaft bei den Betroffenen, sondern auch beim Diabetes-Behandlungsteam. Häufig heißt es: „Wenn der Blutzucker zu hoch ist, müssen Sie mehr spritzen!“ Diese Annahme gilt als überholt, führt sie doch in der Regel zu einem starken Gewichtsanstieg. Weniger Arznei und zudem bessere Zuckerwerte wirken unglaublich motivierend – ebenso die Aussicht, den Typ-2-Diabetes wieder auf das „Abstellgleis“ zu bringen, statt ihm eine Grundlage für die „Weiterfahrt“ zu bieten. Die neuen Einsichten zeigen sehr wohl auf, dass durch ein gesünderes Leben, inklusive Gewichtsreduktion, der ursprüngliche Gesundheitszustand in vielen Fällen wiederhergestellt werden kann.

Prim. Dr. Christian Schelkshorn
seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe