Ernährungsempfehlungen im Laufe der Zeit

In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es wohl einige recht unterschiedliche Ernährungsempfehlungen, die Menschen mit Diabetes mit auf ihren Weg bekamen.
Diese Veränderungen sorgten für Aufregung und Diskussionen und führten zu Verunsicherungen bei den Betroffenen sowie in der Fachwelt. Wie kann es sein, dass die Kohlenhydrate einmal als wichtiger Ballaststofflieferant gefeiert und einmal als blutzuckersteigernder Feind verpönt werden? Oder dass das Fett in der Nahrung jahrelang minimiert wird und dann wieder gezielt in die Mahlzeiten eingeplant werden soll? Um das zu beantworten, muss man sich die folgende Frage stellen:


Woher kommen die Ernährungsempfehlungen?


Eine evidenzbasierte Medizin beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das bedeutet, es werden Studien und Versuche durchgeführt, welche die Wirksamkeit von Therapien bestätigen oder widerlegen sollen. Auch Ernährungsempfehlungen werden von Fachexpert:innen weltweit auf Basis der evidenzbasierten Medizin ausgesprochen. Das Wissen, das man sammelt, sollte im besten Fall aus Studien hervorgehen, die großflächig angelegt, qualitativ hochwertig und miteinander vergleichbar sind. Bis diese Studien abgeschlossen sowie ausgewertet sind und die Inhalte an die Betroffenen weitergegeben werden können, vergehen oft Jahre. In jüngerer Vergangenheit gab es im Bereich Diabetes einige Themen, die durch neue Erkenntnisse für einen Umschwung in der Ernährungstherapie sorgten.


Der Fruchtzucker war jahrelang ein fester Bestandteil der Diabetesernährung. Er wurde als alternatives Süßungsmittel verwendet. Marmeladen, Süßigkeiten, Getränke und andere Produkte galten durch den Zusatz dieses Einfachzuckers als weniger blutzuckersteigernd und erhielten die Bezeichnung „Diabetikerlebensmittel“. Als Untersuchungen aufzeigten, dass der übermäßige Verzehr zu unerwünschten Nebenwirkungen führt, zum Beispiel zu einer vermehrten Fettansammlung in der Leber, war die Bezeichnung „Diabetikerlebensmittel“ ab 2012 nicht mehr zulässig, und von Fruchtzucker als „Zuckerersatz“ wird abgeraten.


Andere Süßungsmittel wie die Süßstoffe werden nach wie vor diskutiert und untersucht. Es gibt soweit keine ausreichende Datenlage, um die Verwendung von Süßstoffen nicht zu empfehlen. Jedoch gibt es verschiedene Untersuchungen, die zum Beispiel eine Beeinflussung der Darmflora zeigen. Ein sparsamer Umgang mit Süßstoffen ist deshalb ratsam. Sind die Blutzuckerwerte gut eingestellt, spricht mittlerweile nichts gegen einen vernünftigen Umgang mit normalem Haushaltszucker. 


Die Empfehlung, natürliche Produkte den modulierten Lebensmitteln vorzuziehen, hat sich mehr und mehr etabliert. Fettfreie Aufstriche, Magermilch und Co können durch Produkte mit normalem Fettgehalt ausgetauscht werden, die bei einem maßvollen Genuss keine gesundheitlichen Nachteile zeigen. Vor allem gesunde Fette aus pflanzlichen Lebensmitteln wie Öle, Nüsse oder Samen sind als gefäßschützend einzustufen und sollen den täglichen Speiseplan ergänzen. 


Ein Blick auf die Geschichte der Behandlungsmethoden bei Diabetes mellitus gibt Aufschluss darüber, dass mit den medizinischen Errungenschaften Veränderungen der Ernährungsempfehlungen einhergingen. Die Messung von Zucker und Ketonen im Harn und im Blut, die Entwicklung der Insulintherapie und die Erforschung von oralen Diabetesmedikamenten eröffneten neue Möglichkeiten der Ernährungstherapie. 


In den 1990er-Jahren war für die erfolgreiche Behandlung mit den „Normalinsulinen“ Disziplin wichtig, im Sinne einer genauen Berechnung der Broteinheiten und eines geregelten Tagesablaufs. Spontane Veränderungen der Mahlzeitenzusammenstellung und der Bewegung konnten nicht gut ausgeglichen werden. Die Entwicklung verschiedener tragbarer Blutzuckermessgeräte verhalf den Betroffenen bereits zur Autonomie und gab Sicherheit. Vorher bestand noch fast keine Möglichkeit der Selbstkontrolle des Blutzuckers. Es war sehr schwer, die Auswirkungen verschiedener Entscheidungen im Alltag richtig abzuschätzen. Die Kontrolle des Blutzuckers erfolgte meist nur einmal wöchentlich beim Arzt oder mithilfe von Keton-Harn-Streifentests und der Glukosemessung im Harn.


Der Blick zurück sollte nicht als eine Aneinanderreihung von Misserfolgen, Fehlern und Unverständnis verzeichnet werden, sondern als ein Lernprozess, um Menschen mit Diabetes mellitus besser unterstützen und schützen zu können. 


Die Forschung liefert uns wichtige Erkenntnisse, die für die Weiterentwicklung der Medizin unverzichtbar sind und ohne die wir nur Vermutungen anstellen könnten. 


Was bringt die Zukunft?


Eine gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung sind die wichtigsten Therapiemaßnahmen in allen Stadien der Erkrankung eines Diabetes mellitus. Sie beugen
der Manifestation der Erkrankung vor und sind vor allem für Risikogruppen sehr wichtig. Untersuchungen zeigen, dass an dieser Stelle noch Aufholbedarf besteht und die Aufklärung sowie ein flächendeckendes Unterstützungsangebot verbessert werden müssen, um den steigenden Diabeteszahlen entgegenzuwirken.


In der Ernährungstherapie zeichnet sich in den letzten Jahren ein Trend ab, der für viele sehr positiv zu bewerten ist. Er steht im Gegensatz zu den strikten Vorgaben der Vergangenheit. Der Mensch als Individuum rückt in den Vordergrund. Empfehlungen werden an die Betroffenen angepasst und nicht umgekehrt. Diabetolog:innen als professionelle Ernährungsberater:innen können dabei helfen, auf die Art des Diabetes, das Alter, etwaige Begleiterkrankungen, Vorlieben und andere wichtige Punkte einzugehen, um individuelle Wege für eine gute Blutzuckereinstellung zu finden. 


Diabetiker:innen sollten informiert werden, um selbstbestimmt und intuitiv gut handeln zu können. 

Dr. Schelkshorn

Prim. Dr. Christian Schelkshorn

seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener 
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe

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