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Diabetestherapie im Brennpunkt von Medikamentenmangel!

In den letzten Wochen und Monaten bin ich in Ambulanz, Ordination und sehr oft auch bei Treffen mit Kollegen darauf angesprochen worden, in welcher Form wir auf die Problematik reagieren sollen, dass einige wichtige Säulen unserer Diabetestherapie derzeit nur sehr eingeschränkt bis gar nicht für unsere Patienten zur Verfügung stehen. Gibt es bereits strukturierte Auswege, haben wir Alternativen zur Hand? Dieses brennende Thema hat mich dazu bewogen, den dritten und finalen Teil meines letzten Schwerpunktthemas zum Fokus, welche innovativen Ansätze zu einer gesünderen Ernährung und somit einem gesünderen Lebensstil es heute gibt, auf die nächste Ausgabe zu verschieben, um heute das Problem der Medikamentenausfälle zu besprechen.


Erst heuer – 2023 – wurden von unserer Fachgesellschaft neu aufgelegte Leitlinien in der Diabetestherapie publiziert und kommuniziert. Daher ist es natürlich auch für uns alle besonders unangenehm und problematisch, dass wir Ärzte und die von uns begleiteten Patienten diesen Empfehlungen in manchen Bereichen nur eingeschränkt folgen können. Betroffen sind im wesentlichen und hauptsächlich die Verordnungen aller Medikamente der GLP-1-Agonisten-Therapie (Ozempic®, Victoza®, Trulicity® und Saxenda®). Diese Injektionen, die auch in unserer Therapieleitlinie als „first injectable“ – als erste Wahl – gereiht werden, sind nicht nur sehr effizient in der Blutzuckersenkung, sondern haben allen voran einen besonders positiven gewichtreduzierenden Effekt, und das neben positiven Auswirkungen auf Herz, Niere und Schlaganfallrezidiv-Prophylaxe. Dieser zuvor genannte gewichtreduzierende Effekt hat zu einer unglaublichen weltweiten Nachfrage nach diesen Substanzen, zu einem regelrechten Run auf diese Produkte geführt, sodass nicht nur in Österreich, sondern weltweit ausgeprägte Lieferprobleme entstanden.


In Österreich hat eine Vielzahl von ärztlichen Fachgesellschaften, allen voran besonders auch die Österreichische Diabetes Gesellschaft, darauf hingewiesen, dass in solch einer Situation in erster Linie die Diabetespatienten und die Patienten mit schwerster Adipositas diese Präparate benötigen. Damit verbunden erfolgte die Aufforderung: „Versuchen Sie bitte, geringeres Übergewicht vorerst mit Lebensstiloptimierung zu verbessern, und wenden Sie sich nicht gleich diesen gewiss effizienten Medikamenten zu.“ Glücklicherweise haben auch die Apotheken hier vielfach einen aufklärenden Part übernommen. All dies hat jedoch bisher nicht die Engpässe zum Verschwinden gebracht, und es ist für viele unserer Patienten meist sehr aufwendig, diese Substanzen zu organisieren.


Was sollen wir nun tun, wenn es tatsächlich zu einer erzwungenen Therapiepause kommt?


Ich denke, es gibt 3 Dinge, die wir hier berücksichtigen und als Basis für unsere weiteren Empfehlungen heranziehen können:

  1. Welche zusätzlichen Diabetesmedikamente sind noch verordnet?
  2. Wie ist die aktuelle BZ-Selbstkontrolle organisiert?
  3. Wie ist die aktuelle Einstellungsqualität, wurde das vereinbarte Therapieziel bereits erreicht?


In jedem Fall aber ist die Kommunikation mit dem betreuenden Diabetesteam, der Ambulanz, dem Hausarzt und/oder dem Facharzt sehr wichtig. Sie können dann all die oben angeführten Fragen mit Ihnen gemeinsam erörtern und individuelle Lösungsansätze finden.


In vielen Fällen ist eine passagere Intensivierung der Selbstkontrolle zum Erkennen von beginnenden Verschlechterungen der Einstellung wichtig, um letztendlich zeitgerecht gegensteuern zu können. Vielleicht ist in manchen Fällen auch eine vorübergehende Unterstützung mit Insulin notwendig, um eine Entgleisung zu verhindern. Ich kann alle beruhigen, die vielleicht glauben: einmal Insulin – immer Insulin. Das ist absolut nicht zutreffend.


Lediglich die Schulung hinsichtlich Hypoglykämie-Vorsorge ist bei Menschen, die bisher noch keine Erfahrung mit „Fremdinsulin” haben, notwendig, auch wenn die modernen Basalinsuline, mit denen meist eine unterstützende Insulintherapie begonnen wird, hier kein übermäßiges Risiko mehr aufweisen.


Wenn nun ein Patient aufgrund seiner schlechten Blutzuckerentwicklung diese GLP-1-Injektion neu benötigen sollte, ist es vielleicht unter den gegebenen Umständen besser, vorübergehend vorerst mit einer Insulinunterstützung zu beginnen, als nichtunvermeidliche Therapielücken in Kauf nehmen zu müssen. Sobald wieder eine uneingeschränkte Versorgung möglich ist, spricht absolut nichts gegen eine Umstellung auf die oben angeführten gut wirksamen Substanzen.


Warnen möchte ich besonders vor eigenständiger Beschaffung der Substanz Semaglutid (Ozempic®) im Internet. Da, wie oben bereits angesprochen, der Produktionsengpass die ganze Welt betrifft, ist das Kaufen von diesen Substanzen auf Internetplattformen absolut nicht zu empfehlen. Es handelt sich dabei um gefälschte Ware, die nicht die noch unter Patent stehende, so erfolgreiche Substanz Semaglutid enthält. Dieses Medikament ist rezeptpflichtig und nur in Apotheken abzugeben.


Das aktuell eher als Nischenmedikament eingesetzte Präparat Pioglitazon ist seit kurzem auch von Lieferengpässen betroffen. Dieser Insulinsensitizer hat leider auch keine Alternative zur Verfügung. Hier wird aber zuletzt vor allem von bestimmten Dosen berichtet, die Lieferprobleme haben (meist 45 mg), sodass es durchaus auf andere Dosen nach Rücksprache mit den Verschreibern ausgewichen werden kann.


Sehr einfach können wir die aus dem Handel genommenen FlexTouch®-Fertigpens Tresiba® und Levemir® ersetzen. Beide Insuline sind uneingeschränkt erhältlich und können in Form von Insulinpatronen im NovoPen® verwendet werden. Hier ist lediglich die Kontaktaufnahme mit der Ambulanz, der Hausarztpraxis oder der Facharztordination erforderlich, um sich den Pen verordnen zu lassen, und eine kurze Basiseinschulung für den Vorgang des Patronenaustausches. Alles andere ist vollkommen ident zum zuvor verwendeten FlexTouch®-Fertigpen.


Zusammenfassend möchte ich nochmals anführen, dass uns diese vorübergehende Medikamentenlücke vor keine unlösbaren Probleme stellt. Wichtig ist nur das Gespräch zwischen den Betroffenen und den betreuenden Ärzten und Diabetesteams. Individuelle Lösungen gibt es, und es ist gewiss für jeden unserer Patienten ein guter Weg zu finden.

Dr. Schelkshorn

Prim. Dr. Christian Schelkshorn

seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener 
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe

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