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Können wir Diabetes Typ 2 hinauszögern oder verhindern?

Da wir in Österreich leider bisher noch kein umfassendes Diabetesregister besitzen und nur einzelne Regionen wie Tirol diesbezügliche Aktivitäten gesetzt haben, sind wir aktuell auf Schätzungen angewiesen. Wie viele Diabetiker:innen gibt es in Österreich derzeit? Wir gehen von ca. 8 bis max. 10 % der Bevölkerung aus. Das entspricht einer Zahl von 712.000 bis 890.000 Betroffenen in unserem Land. 


Aufgrund dieser sehr großen Zahl an betroffenen Menschen stellt sich natürlich die Frage, wie es uns gelingenkann, mit Hilfe von gezielten Maßnahmen, einem großen Teil davon, nämlich der Gruppe der Typ-2- Diabetiker:innen, ein gesundes Altern zu ermöglichen. Wie bereits öfter an dieser Stelle geschrieben, ist der zeitgerechte Einsatz von zielgerichteten Therapieinterventionen einer der wichtigsten Schritte in diesem Zusammenhang.  


Bevor wir allerdings über Therapieschritte – welche auch immer – nachdenken können, sollte die Diagnose gestellt werden. In diesem Zusammenhang darf ich einige Faktoren anführen, die für eine erhöhte Sensibilität im Zusammenhang mit Diabetes mellitus Typ 2 sorgen sollten. Hier sind Übergewicht, ein ungünstiges Ernährungsverhalten, nur sehr eingeschränkte körperliche Aktivitäten besonders wichtige Punkte.


Allen voran ist hier besonders der genetische Faktor im Rahmen der Typ-2-Entwicklung anzuführen. Das heißt, wenn in der Familie, in erster Linie Verwandte ersten und zweiten Grades, gehäuft die Diagnose Diabetes Typ 2 aufweisen, so sollten Betroffene hellhörig werden und im Rahmen der nächsten Vorsorgeuntersuchung in der haus-
ärztlichen Ordination dieses Thema ganz bewusst ansprechen. Es ist vor kurzem gelungen, in dem dabei vorgesehen Laborblock auch den für die Diagnosestellung so hilfreichen Parameter HbA1c einzubinden, sodass nicht nur der Nüchternblutzucker, sondern auch dieser jedem Diabetiker, jeder Diabetikerin vertraute Laborwert ohne Probleme mitbestimmt werden kann. 


Viele von Ihnen wissen, dass dieser Wert uns hilft, die Qualität der BZ-Stoffwechseleinstellung zu beurteilen:


  • Optimal unter 7 % (ohne Unterzuckerungen)

  • zwischen 7 und 8 % nicht ideal, aber akzeptabel

  • über 8 % verbesserungspflichtig


Wenngleich dieser Zielwert von vielen Dingen abhängt und immer von dem betreuenden Team individuell festgelegt wird, so möchte ich Sie bitten: Fragen Sie danach, fragen Sie, wo Ihr Zielwert aktuell liegen sollte. 


Natürlich gibt es aber in der ersten Diagnosestellung Grenzbereiche und um diese geht es in der Vorsorgeuntersuchung bzw. bei der Früherkennung von Kandidat:innen für Diabetes mellitus Typ 2.


Dieser Grenzbereich ist zwischen 5,7 und 6,4 %. Hier sprechen wir von einer gestörten Glukosetoleranz, einem Prädiabetes. In Ergänzung zu diesem Laborparameter sollte dann auch noch ein OGTT ein Zuckerbelastungstest durchgeführt werden, der folgende BZ-Parameter beinhaltet: 


  • Nüchtern (zwischen 100 mg/dl und 125 mg/dl)

  • 2 Stunden nach der Einnahme von 75 g reiner flüssiger GLUCOSE (zwischen 140 mg/dl und 199 mg/dl)


Falls mit diesem Test der prädiabetische HbA1c eine Bestätigung mit erhöhten BZ-WERTEN findet, ist es an der Zeit, die Betroffenen zu schulen und vor allem auf die Thematik eines zu optimierenden Lebensstils aufmerksam zu machen. Dabei ist die „gesunde“ fett- und kohlenhydratbewusste Ernährung ein wichtiger Ansatzpunkt, vor allem aber auch die Einbindung von körperlicher Aktivität in den Alltag. Ist das eine wichtig dafür, dass die noch gut vorhandene Restfunktion der ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse nicht überfordert wird und für die konsumierten Kohlenhydrate auch ausreichend genug Insulin zur Verfügung stellen kann, so ist der zweite Punkt vor allem zur Verbesserung der Insulinempfindlichkeit einer der wichtigsten Faktoren. Hier steht die Optimierung der Insulinresistenz im Fokus unserer Aufmerksamkeit.


Beide Maßnahmen, sowohl bewusste Ernährung als auch Bewegung, helfen das Körpergewicht positiv zu beeinflussen.


Wenn es uns gelingt, durch diese Bewusstseinsbildung die Manifestation einer diabetischen Stoffwechselerkrankung hinauszuzögern, ist dies gewiss der beste Weg, Folgeerkrankungen einzubremsen, bzw. zu verhindern. Dass dies nicht einfach ist, ist allen in diesem Bereich Tätigen allzu gut bekannt. Aber wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass gerade Typ-2-Diabetes-Betroffene sehr viele Chancen in den Händen halten, die Krankheitsentwicklung zu verlangsamen bzw. manche Probleme gänzlich zu verhindern.


Auch bereits in dieser Phase der diabetischen Erkrankung ist die Einbindung von Blutzucker-Selbstkontrolle ein wichtiger, auch erzieherischer Lernfaktor. Es macht gewiss keinen Sinn, täglich nur den Nüchtern-BZ zu messen, vielmehr sollten die Betroffenen sich auf einfache Tagesprofile mit minimal 3 Werten konzentrieren und dabei wenn möglich 2 Messungen 2 Stunden nach einer Mahlzeit in diese Profile einbinden. Zu Beginn reicht gewiss ein solches Profil/Woche. Dies zeigt die natürliche Dynamik der BZ-Schwankungen auf und man wird von Beginn an mit dieser vertraut. In Ergänzung dazu sind aber in allen Phasen der diabetischen Karriere punktuelle Messungen nach unklaren Mahlzeiten (waren das doch zu viele Kohlenhydrate oder ist es nur zu fett gewesen?) von hohem Interesse. So gelingt es einem, den BZ-Verlauf in all seiner Dynamik deutlich besser kennenzulernen.


Gewiss wäre es optimal, wenn es für unsere Diabetiker:innen in jeder Phase der Erkrankung möglich wäre, Blutglukose-Sensoren als rtCGM (realtime, kontinuierlich ablesbare Systeme) oder isCGM, die ein Scannen erfordern, zumindest passager immer wieder für ein paar Wochen zur Verfügung zu haben. Auch oder gerade am Beginn der diabetischen Karriere, wo man über den Verlauf des Blutzuckers im Tages- und Nachtrhythmus sicher sehr wenig Kenntnis hat, über Schwankungen, über Einfluss von körperlicher Aktivität oder über den Einfluss verschiedenster Mahlzeiten auf den aktuellen Blutzucker wenig weiß, könnte man mit diesen Hilfen viele wertvolle Informationen gewinnen.


Leider ist dies aktuell noch nicht möglich, und diese Systeme sind Patient:innen mit einer funktionellen BASIS/BOLUS Insulintherapie vorbehalten.


Hinsichtlich der weiteren Verlaufskontrollen wird empfohlen, bei grenzwertigen Befunden zumindest alle 6 Monate wieder den HbA1c zu kontrollieren und auch die Fortschritte im Bereich Lebensstiloptimierung zu erörtern und zu dokumentieren. 


Zusammenfassend möchte ich allen Leser:innen mitgeben, dass vom ersten Tag der Diagnose Diabetes oder Prädiabetes an das Bewusstsein einer sich kontinuierlich im Fluss befindlichen Erkrankung in uns reifen sollte. Unser Ziel ist es, die Folgen der Erkrankung zu verhindern bzw. wenn bereits vorhanden, ein Fortschreiten zu bremsen. Dies sollte im Idealfall nicht eine Belastung darstellen, sondern vielmehr zu einer aktiven gesunden Lebensweise motivieren. 

Dr. Schelkshorn

Prim. Dr. Christian Schelkshorn

seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener 
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe

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