In den letzten Jahren hat sich der Umgang mit der Insulintherapie verändert, und die Möglichkeiten für die Betroffenen haben sich deutlich erweitert. Die zentralen Fragen im Umgang mit dem Insulin sind allerdings unverändert geblieben.
Zu diesen zentralen Fragen zählen in erster Linie:
Wann ist der beste Zeitpunkt für die Gabe meines Basalinsulins?
Soll ich mein Basalinsulin aufteilen oder doch lieber nur einmal pro Tag verabreichen?
Welche Faktoren beeinflussen die Wirkung?
Muss ich mein Mahlzeiteninsulin immer vor dem Essen spritzen?
Was mache ich, wenn ich zu viel oder doch weniger als geplant gegessen habe?
Wie oft und ab wann darf, muss oder soll ich korrigieren?
Ich darf nun in weiterer Folge diese Fragen behandeln und vielleicht nicht immer einfache „Kochrezepte“, aber doch Wege für einen optimierten Umgang aufzeigen. Zu Beginn sei hier angeführt, dass all die folgenden Ausführungen für DiabetikerInnen gedacht sind, die ein Verzögerungsinsulin und/oder ein rasch wirkendes Mahlzeiteninsulin in ihrem Therapieplan aufweisen. Betroffene einer fixen Mischinsulintherapie haben eigene Regeln.
Der Umgang mit basalem Verzögerungsinsulin hat sich mit der Einführung von lang und vor allem besonders flach wirkenden Insulinen deutlich verändert. War es früher absolut üblich, den Beginn einer unterstützenden Basalinsulintherapie vor dem Zubettgehen spätabends zu empfehlen, so ist der Spritzzeitpunkt der modernen Basalinsuline (Tresiba®, Toujeo®, Levemir®, Lantus® und Semglee®) nicht mehr an diesen Zeitpunkt gebunden. Der Grund für die Gabe spät abends war in erster Linie dem Wirkprofil der alten Verzögerungsinsuline geschuldet. Sie haben nach ca. 6 bis 8 Stunden ein Plateau der Wirkung erreicht, und somit konnten wir dadurch den Nüchtern-BZ deutlich verbessern. Der Nachteil war allerdings die Variabilität in der Wirkung und die gewiss höhere Gefahr für nächtliche Hypoglykämien.
Die modernen Basalinsuline zeigen eine hohe Flexibilität in der Gabe. Das heißt, sie können morgens, mittags oder abends gespritzt werden, und es wird keinen großen Unterschied in der Wirkung geben. Grundsätzlich sind all diese Insuline für eine Einmalgabe gedacht, allerdings hat sich eine Aufteilung auf zwei Einzeldosen bei Levemir® und Lantus® (oder Semglee®) durchaus etabliert und hilft oft, einen konstanteren Wirkspiegel zu erreichen. Ob die Abenddosis nun zum Abendessen oder vor dem Zubettgehen verabreicht wird, folgt keiner allgemein gültigen Regel.
Für die beiden besonders lang wirkenden Insuline Tresiba® und Toujeo® gilt dies nicht. Hier wird die Einmaldosierung absolut bevorzugt, und eine Aufteilung ergibt keinen Sinn. Das Wirkprofil ist derart flach und lang, dass wir hier – wann auch immer verabreicht – nur die einmal tägliche Gabe empfehlen. Bei Tresiba® haben wir zusätzlich den Vorteil, dass die Flexibilität des Spritzzeitpunktes auch in Studien sehr eindrücklich dokumentiert ist. Damit verbunden ist aber auch anzuführen, dass das Ergebnis von Dosisänderungen auch mehrere Tage (ca. 3 bis 5) benötigt, um es optimal beurteilen zu können.
Für alle Basalinsuline gilt, dass körperliche Aktivität – in welcher Form auch immer – die Wirkung positiv beeinflusst und die Sensibilität steigert, dass aber auf der anderen Seite Stress und Infektionen die Wirkung vermindern.
Im Bereich der Mahlzeiteninsuline hat sich in den vergangenen Jahren deutlich weniger getan. Allerdings stehen aktuell zwei ultraschnelle Insuline (Fiasp® und Lyumjev®) zur Verfügung, die nun noch einen Schritt näher zum physiologischen Wirkprofil gerückt sind. Allerdings können wir hier noch lange nicht von einem Äquivalent zur natürlichen Abgabe dieses Mahlzeiteninsulins beim Gesunden sprechen. Die Verzögerung, die durch die subkutane Applikation des Insulins durch Pumpe oder Pen entsteht, ist immer noch ein deutliches Handicap für ein optimales physiologisches Wirkprofil.
Einen der wichtigsten Punkte möchte ich an dieser Stelle jedoch anführen: Das Mahlzeiteninsulin gehört immer vor dem Essen gegeben – und je nach Höhe des Ausgangszuckers, wenn dieser gemessen wurde, gehört auch ein Spritz-Ess-Abstand eingehalten. Hier gilt: Je höher der Zucker vor dem Essen, desto länger sollte dieser Abstand sein. Auch bei den sehr schnell wirkenden Insulinen bedeutet ein erhöhter BZ vor dem Essen eine Wartezeit, bis mit dem Essen begonnen werden kann. In der Regel sind dies 15 bis 30 Minuten. Wenn der BZ allerdings im Zielbereich ist, kann sofort mit dem Essen begonnen werden.
Nur eine Ausnahme von dieser Regel besteht: ein zu geringer BZ vor dem Essen (unter 70 mg/dl). Dann muss das Insulin nach dem Essen verbreicht werden, eventuell auch in einer etwas geringeren Dosis.
Einen großen Vorteil stellt hier gewiss der Glukosesensor dar, der einen immer über den aktuellen Trend am laufenden halten kann.
Falls nun vor der Mahlzeit zu wenig Kohlenhydrate bzw. Broteinheiten (BE) berechnet wurden, kann während der Mahlzeit ohne weiteres die Dosis nachgereicht werden. Hier braucht man keine Sorge zu haben und dabei auch keinen Spritz-Ess-Abstand zu berücksichtigen. Falls der Appetit groß war, dann aber doch eine geringere Menge an Kohlenhydraten konsumiert wird, empfehle ich, sich mit flüssigen BE zu helfen. Allerdings ist hier oft eine zwischenzeitliche BZ-Kontrolle eine große Hilfe, um die aktuelle Situation zu beurteilen. Bei all diesen Situationen gilt die Hauptregel: Lieber einmal öfter messen als zu wenig! Die Kohlenhydrate benötigen – v. a. dann, wenn sie mit Fett und Eiweiß kombiniert sind – oft etwas länger, bis der BZ ansteigt, und damit verbunden müssen wir uns auch ein wenig in Geduld üben.
Zu guter Letzt die Korrekturthematik im Umgang mit Insulin. Der häufigste Fehler, der hier auftritt, ist ebenfalls die mangelnde Geduld. Zur Korrektur verabreichtes Insulin braucht Zeit, und die müssen wir unserem Stoffwechsel geben. Die Beurteilung einer Korrektur kann erst nach 3 bis 4 Stunden erfolgen. Wichtig dabei ist, nicht zu früh und zu oft nachzukorrigieren. Die Überlegungen, wie viel Insulin ist noch an Bord und wie lange wirkt mein Mahlzeiteninsulin, sind zentrale Punkte in dieser Fragestellung.
Zusammenfassend möchte ich besonders betonen, dass der Umgang mit Insulin im Bolus- und Basalbereich immer sehr individuell betrachtet werden sollte und der regelmäßige Austausch mit dem betreuenden Behandlungsteam hier einer der wichtigsten Punkte für einen langfristig stabilen und sicheren Umgang mit Insulin darstellt.
Prim. Dr. Christian Schelkshorn
seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe