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Dawn-Phänomen: Die Bedeutung der "inneren Uhr" beim Diabetes

Die Wissenschaft von der Chronobiologie („chronos“ = Zeit, Biologie = die Lehre von der Natur) beschäftigt sich seit Langem mit den biologischen Rhythmen von Pflanzen, Tieren und natürlich auch des Menschen. Wie wichtig dieses Thema geworden ist, zeigt die Nobelpreisverleihung im Oktober 2017 für Medizin und Physiologie an drei US-Forscher für die Entdeckung molekularer Mechanismen, die den circadianen Rhythmus kontrollieren.


Wir unterliegen einer gewissen Zeitsteuerung, die schon vor 2 Millionen Jahren unsere Vorfahren in den Höhlen geprägt hat. Der Zeitgeber war und ist das Licht. Wenn es Tag wird, ist der Himmel blau, und die Sonne „erstrahlt“ die Umgebung. Die Netzhaut unserer Augen gibt das Signal der Helligkeit an unser Gehirn weiter, und es werden Hormone aktiv, die unseren Blutdruck, die Körpertemperatur und vor allem unseren Stoffwechsel anfeuern, damit wir munter und aktiv in den Tag starten können. Wird es dunkel, und die Sonne geht unter, wird ein Hormon – Melatonin – in der Zirbeldrüse produziert, welches unseren Schlaf reguliert, im Speziellen den Tiefschlaf. Das Wachstumshormon wird ebenfalls angeregt, und im Volksmund sagt man ja, dass Kinder „im Schlaf“ wachsen. Aber auch für die Regeneration ist dieses Hormon wichtig, da ihm sogenannte antioxidative Effekte zugeschrieben werden.


Leider müssen wir feststellen, dass unsere innere Uhr durch die Umwelt beeinflusst wird. Unser Lebensstil und unsere beruflichen Anforderungen führen zu einem Konflikt mit unserem Biorhythmus. Die Folgen sind: Schlafstörungen, Abbau der Merk- und Konzentrationsfähigkeit, Schwächung des Immunsystems, Störungen des Energiestoffwechsels, aber auch Erkrankungen der Psyche oder Krebsentstehung stehen zur Diskussion.


Auswirkungen des Dawn- und des Dusk-Phänomens


Bei schon bestehendem Diabetes kennen wir die oft schwierig zu therapierenden Schwankungen des Blutzuckers (Dawn- und Dusk-Phänomen). Je geregelter wir unserem genetisch determinierten circadianen Biorhythmus entsprechen, umso geringer werden diese Schwankungen ausfallen. Aber durch äußere Umstände gelingt uns das häufig nicht.


Denken wir nur an eine Reise nach Montreal. Schon eine Zeitverschiebung von nur sechs Stunden kann nicht nur bedeuten, dass wir besonders nach der Rückkehr Jetlag verspüren, sondern, dass der gestörte Tag-Nacht-Rhythmus eine Korrektur der Basalrate notwendig macht. Das sollte man schon immer vor Antritt einer Reise mit dem Diabetesteam besprechen, um mit der individuell angepassten Therapie gewappnet zu sein.


Das nächste Beispiel aus meiner ärztlichen Praxis soll zeigen, dass solche Probleme auch selbst inszeniert oder verschuldet sein können: Ein junger Patient mit DM1 und Insulinpumpentherapie kommt zu mir in die Sprechstunde, und nach Auslesen seines Blutzuckergerätes zeigen sich immer extrem erhöhte Morgenwerte. Zwangsläufig denkt man an ein Dawn-(Morgendämmerungs-)Phänomen. Die begleitende Mutter berichtet, dass ihr Sohn Schlafstörungen hat. Es zeigt sich nach weiterer Auswertung der BZ-Protokolle, dass er nie vor zwei Uhr nachts einschläft, weil er bis spät in die Nacht Computer spielt. Am Morgen ist er dann erschöpft und hat Probleme mit der Konzentration und mit hohen BZ-Werten. An den Wochenenden wird die Situation noch verstärkt durch langes „Ausschlafen“ bis zu Mittag. Es ist ungeheuer schwierig, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, und mittlerweile ist sogar eine Untersuchung im Schlaflabor notwendig geworden. Bei solchen Untersuchungen findet man veränderte neurologische Zeichen im EEG, aber auch Blutdruck und Herzfrequenz zeigen Veränderungen. Es kommt nicht – so wie es für unseren Organismus wichtig wäre – zu einem erholsamen „Tiefschlaf“. Die Folge ist, dass die Leber Energie freisetzt, insbesondere in Form von Glukose, zu einem Zeitpunkt, wo genau das Gegenteil wichtig wäre. Diese Situation führt zu extremen BZ-Schwankungen, und die erhöhte Menge an Korrekturinsulin spiegelt uns das. Blutzuckerschwankungen wollen wir aber vermeiden, weil sie die Ursache für mögliche Diabetesfolgeschäden sind. 


Individueller Biorhythmus und äußere Einflüsse


Jede Zelle in unserem Körper unterliegt unserem individuellen Biorhythmus. Studien haben gezeigt, dass unsere Muskelzellen je nach Tageszeit Unterschiede in Zusammensetzung und Konzentration diverser wichtiger Lipide (Fette) aufweisen. Es wird angenommen, dass dadurch die Insulinempfindlichkeit oder Insulinresistenz beeinflusst wird und somit die Entstehung von DM2.


Schon die viel umstrittene Zeitumstellung am 31. März auf die Sommerzeit bringt bei vielen den Rhythmus aus dem Gleichgewicht. Manche sprechen von einem „Mini-Jetlag“. Die sogenannten „Lerchentypen“ haben mit dem frühen Aufstehen kein Problem und freuen sich darüber, während die sogenannten „Eulentypen“ die Sommerzeit als Nachteil empfinden.


Früher Arbeitsbeginn, Schulbeginn, Nacht- oder Schichtarbeit, häufige Reisen mit Zeitverschiebungen, Medikamente oder Medienkonsum bis spät in die Nacht machen unseren Zellen, die funktionieren sollen, Probleme. Schlechte Regeneration führt zu einer rascheren Zellalterung. Auch das Wochenende wird vielfach nicht zur Regeneration genutzt. Wer schon einmal eine Nacht durchgemacht hat, z. B. in der Ballsaison, weiß, dass man ein bis zwei Tage braucht, um sich zu erholen. 


Künstliches Licht stört nicht nur die Nachtruhe der Tierwelt, auch in unseren Schlafräumen sollte es dunkel sein und nicht durch Fernseher, blau blinkende Lämpchen von Handys etc. gestört werden.


Es ergibt also durchaus Sinn, auf seine innere Uhr zu hören. Leben Sie nicht gegen Ihre innere Uhr! „Morgenstund’ hat Gold im Mund!“ – stimmt, aber nicht für jeden von uns.

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