Herzkranzgefäßerkrankung (KHK) und Herzinfarkt
Arterielle Gefäßerkrankungen sind in den Industrieländern größtenteils durch Arteriosklerose (Gefäßverkalkungen) bedingt. Genetische Faktoren, Nikotinkonsum, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Stress und Lebensstil (fettreiche Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel) bestimmen Beginn und Fortschreiten der Erkrankung. In der Gefäßinnenwand bilden sich durch Einlagerung von Cholesterin und Entzündungszellen Ablagerungen (Plaques), die aufplatzen können. Es entsteht eine Wunde in der Gefäßwand, die der Körper durch Ablagerung von Blutbestandteilen zu verschließen versucht. Ist die Reaktion an dieser Stelle überschießend, entsteht ein Blutpfropfen (Thrombus), der das Gefäß plötzlich verschließen kann.
Der Herzmuskel wird nur von drei der Herzmuskulatur außen anliegenden Herzkranzgefäßen versorgt. Je nachdem, welcher Abschnitt des jeweiligen Blutgefäßes betroffen ist, wird bei dessen akutem Verschluss die Durchblutung des Herzmuskels unterbrochen, sodass Herzmuskelzellen bereits nach 20 bis 30 Minuten absterben (Herzinfarkt). 3 bis 6 Stunden nach dem Verschluss bildet sich eine Narbe aus. Je näher sich der Verschluss des Koronargefäßes am Abgang der Hauptschlagader befindet, desto größer ist der Herzmuskelbereich, der nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden kann. Nach Lokalisation des Herzinfarktes unterscheidet man einen Vorder-, Hinter- oder Seitenwandinfarkt. Ist auch die rechte Herzkammer von der Durchblutungsstörung betroffen, ist die Prognose schlechter, da dadurch ein großer Teil des Herzens betroffen ist.
Seltener kann ein Herzinfarkt durch langanhaltende Verkrampfungen (Spasmen) der Gefäßwand z. B. durch Kokain, durch über das Blut verschleppte Blutgerinnsel bei Herzklappenentzündungen (Endokarditis) oder bei Gerinnungsproblemen im Rahmen eines Schockgeschehens entstehen.
Durch die plötzliche Durchblutungsstörung der Koronargefäße treten Symptome, wie akut auftretender Schmerz bzw. Engegefühl im Brustbereich auf, die v. a. linksseitig in die Schulter, Arme, aber auch in den Unterkiefer, den Rücken oder den Oberbauch ausstrahlen, oft begleitet von Schweißausbrüchen/Kaltschweißigkeit, Luftnot, Übelkeit, Erbrechen oder Todesangst. 25 % aller Herzinfarktpatienten haben während des Herzinfarktes (stumme Herzinfarkte) nur geringe oder keine Beschwerden, was die Diagnosestellung deutlich verzögert. Darunter finden sich oft Diabetiker, die eine andere Schmerzempfindung haben, aber auch Frauen, bei denen die Beschwerden oft uncharakteristisch sind. Daher sind Vorsorgeuntersuchungen mit Optimierung der Risikofaktoren des Herz-Kreislauf-Systems (Nikotinkarenz, Blutdruck-/Blutzucker- und Cholesterinoptimierung) von entscheidender Bedeutung!
Akute körperliche Anstrengung, Stress, Nikotin-, Kokain- bzw. übermäßiger Alkoholkonsum oder morgendlicher Bluthochdruck können auslösende Faktoren für einen Herzinfarkt sein. So treten 40 % der Herzinfarkte häufig in den frühen Morgenstunden und montags (auch bei Nichtberufstätigen) auf.
Die ersten beiden Stunden nach Eintreten eines Herzinfarktes sind für die Prognose entscheidend. Innerhalb der ersten Stunde („golden hour”) nach akutem Verschluss des Herzkranzgefäßes bestehen gute Chancen, durch medikamentöse Auflösung des Gerinnsels (Lyse) oder Wiedereröffnung des Gefäßes mittels Herzkatheters, das Absterben des Herzmuskels und die Ausbildung einer Narbe zu verhindern.
Rasches Handeln bei Herzinfarkt
Zeit bedeutet Verlust von Herzmuskelgewebe! Schnelles Handeln ist bei Verdacht auf einen Herzinfarkt immer von entscheidender Bedeutung. Zögern ist unangebracht und kostet lebensrettende Zeit. Jeder Patient, der bei verdächtigen Symptomen an einen Herzinfarkt denkt, sollte unverzüglich die Rettung rufen, den Verdacht auf einen Herzinfarkt bereits telefonisch aussprechen und niemals selbst mit dem Auto in das nächste Krankenhaus fahren, bzw. sich fahren lassen! Die Gefahr eines Kreislaufstillstandes (Herzkammerflimmern) durch Rhythmusstörungen während der Fahrt ist groß, und die Diagnose wird aufgrund der längeren Wartezeit in der Krankenhausambulanz verzögert, was die Prognose deutlich verschlechtert.
Bei Bewusstlosigkeit (Patient reagiert auf Ansprache und Schmerzreize nicht mehr) kann nur eine rasch einsetzende Herz-Lungen-Wiederbelebung (Herzdruckmassage mit oder ohne Beatmung) durch Ersthelfer oder den Rettungsdienst den Tod oder eine schwere Sauerstoffunterversorgung des Gehirns verhindern. Für den Ersthelfer genügt in den ersten 8 Minuten einer Wiederbelebung (Reanimation) die Herzdruckmassage bzw. die frühzeitige Defibrillation (Elektroschock), die eine zum Tode führende Herzrhythmusstörung beenden kann.
Durch den Rettungsdienst wird der Patient sofort medizinisch versorgt (Stabilisierung des klinischen Zustandes, Erstellung der Erstdiagnose mittels EKG, klinische Untersuchung mit Blutdruckmessung, Legen eines venösen Zuganges, EKG-Überwachung, medikamentöse Schmerzbekämpfung und Gabe von blutverdünnenden Medikamenten). Das EKG (Elektrokardiogramm) lässt Rückschlüsse auf die Größe, die Lokalisation und das Alter des Herzinfarktes zu.
Mit Stent und Herzkatheter das Herzmuskelgewebe retten
Vordringliches Ziel ist die rasche Wiedereröffnung des verschlossenen Herzkranzgefäßes und dadurch die Wiederherstellung der Durchblutung des Herzmuskelgewebes. Ist die gesamte Wanddicke des Herzmuskels betroffen (STEMI oder ST-Hebungsinfarkt) und der Verlust an Herzmuskelgewebe groß, so ist der Patient akut lebensbedrohlich gefährdet.
Im städtischen Bereich wird der Patient durch den Rettungsdienst dem nächstgelegenen Schwerpunktkrankenhaus mit Verfügbarkeit eines 24-Stunden-Herzkatheterlabors telefonisch vorangekündigt, damit die Vorbereitungen für eine möglichst rasche Wiedereröffnung des/der verschlossenen Herzkranzgefäße(s) getroffen werden können.
Im Herzkatheterlabor wird mittels Katheter, der im Notfall über die Beinarterie in der Leiste in Lokalanästhesie eingeführt wird, das verschlossene Herzkranzgefäß so rasch wie möglich wiedereröffnet und mittels eingeführtem Ballon gedehnt (dilatiert), um das Herzinfarktausmaß und alle damit verbundenen Komplikationen (Pumpversagen, Herzrhythmusstörungen) so gering wie möglich zu halten. Um einen Wiederverschluss des Gefäßes nach der Dehnung zu verhindern, wird an der gedehnten Stelle des Herzkrankgefäßes ein Metallgitter (Stent) gesetzt, sodass der Patient nach Wiedereröffnung des Gefäßes beschwerdefrei ist. Finden sich an den Herzkranzgefäßen weitere hochgradige Engstellen, die repariert werden müssen, erfolgt dies in der Regel in einer weiteren Sitzung in den nächsten Tagen nach dem Akutereignis. In Einzelfällen, wenn die Engstellen an den Gefäßen zahlreich, ungünstig gelegen oder langstreckig verengt sind (oft bei Diabetikern) oder akute Komplikationen nach einem Herzinfarkt eintreten (wie Herzklappenabriss, Ausbildung einer Herzwanderweiterung oder eines Herzmuskelbruchs) ist eine Bypassoperation der Herzkranzgefäße für den Patienten sinnvoller bzw. unvermeidbar.
Im ländlichen Bereich dauert der Weg in das nächste Herzkatheterlabor oft zu lange, sodass der Notarzt vor Ort eine medikamentöse Therapie zur Auflösung des Blutgerinnsels (prästationäre Lysetherapie) spritzen muss. In Abhängigkeit des Erfolges der Lyse und bei einem NSTEMI (Nicht-ST-Hebungsinfarkt, Innenschichtinfarkt) wird in der Regel die Wiedereröffnung des Herzkranzgefäßes mittels Herzkatheter aus Erfahrung erst in den nachfolgenden Tagen angestrebt.
Ist das akute Ereignis überstanden, bedarf es einer lebenslangen medikamentösen Behandlung, um in der ersten Zeit nach dem Herzinfarkt die Infarktgröße kleinzuhalten (ACE/AT-II-Blocker), den Sauerstoffverbrauch des Herzmuskels zu reduzieren (ß-Blocker) und einen neuerlichen Verschluss des/der mittels Stent „reparierten” Herzkranzgefäße(s) zu verhindern (Aspirin +/– Blutverdünner, Lipidsenker).
Ist durch einen großen Herzinfarkt viel Herzmuskelgewebe abgestorben, ist das Narbengewebe oft Ausgangspunkt von lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen, sodass der Patient durch ein Gerät (Defibrillator) geschützt werden muss, das diese unverzüglich beenden kann.
Nach einem Herzinfarkt ist es sinnvoll, eine stationäre Rehabilitation in einem Rehabilitationszentrum mit Spezialisierung auf Herzerkrankungen zu absolvieren. Während dieses Aufenthaltes erhalten die Patienten eingehende Informationen über die Entstehung und die Vermeidung eines Herzinfarktes, zusätzlich erlernen sie ein dosiertes Bewegungs-/Ausdauertraining, das sie lebenslang durchführen sollten. Eine Änderung des Lebensstils ist der wirksamste Garant, das Voranschreiten der Herzgefäßerkrankung zu verhindern.
Nach dem Rehabilitationsaufenthalt muss der Patient eine lebenslange absolute Nikotinkarenz einhalten. Blutdruck, Blutzucker und Blutfette müssen durch einen Facharzt für Innere Medizin mit Spezialisierung auf Herzerkrankungen nach den kardiologischen Leitlinien medikamentös optimal eingestellt werden.
Im ersten Jahr nach dem Herzinfarkt erfolgen die Kontrollen in kürzeren Abständen, danach in 6- bis 12-Monatsabständen, bei denen herzspezifische Beschwerden erfragt, die medikamentöse Einstellung, die Laborparameter, die Pumpfunktion mittels Herzultraschall und das EKG unter Belastungsbedingungen (Ergometrie) kontrolliert werden. Diese Kontrollen dienen der optimalen Einstellung, um ein neuerliches Akutereignis zu verhindern bzw. Beschwerden oder EKG-Veränderungen frühzeitig zu erkennen und durch weitere Untersuchungen (Myokardszintigrafie, Myokardmagnetuntersuchung, Koronarcomputertomografie oder Herzkatheter) abzuklären.
Obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch immer die Todesstatistik in den Industrieländern anführen und große Herzinfarkte tödlich sein können, ist der Verschluss eines Herzkranzgefäßes ein sehr gut behandelbares Ereignis. Wenn der Herzinfarktpatient so früh wie möglich im Krankenhaus ist und das Herzkranzgefäß ehestmöglich wiedereröffnet werden kann, hat der Patient gute Chancen, keine oder nur minimale Folgen des Akutereignisses zu erleiden.
Nur durch eine Änderung des Lebensstils (Nikotinkarenz, Bewegung/Sport, optimale Blutdruck-, Blutzucker- und Blutfetteinstellung) und die Reduktion eines erhöhten Stresslevels kann auf Dauer eine Stagnation dieser Herzgefäßerkrankung erreicht werden.