In meinen vergangenen Artikeln habe ich Ihnen viele der innovativen Möglichkeiten in der Therapie des Diabetes mellitus vorgestellt und die damit verbundenen positiven Effekte nicht nur auf den Blutzucker versucht näherzu- bringen. Vielfach werde ich aber auch mit den Fragen konfrontiert: Kann ich Diabetes verhindern? Wie erkenne ich mein individuelles Risiko? Gibt es Vorzeichen, auf die wir achten sollten? Daher möchte ich im Folgenden auf diese Thematik im Detail eingehen.
Grundsätzlich darf ich feststellen, dass alle Formen des Autoimmundiabetes, d. h. dass das körpereigene Immunsystem sich gegen die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse wendet, in der Regel schicksalshafte Erkrankungen sind. Bei Diabetes mellitus Typ 1 und LADA-Diabetes können wir meistens weder eine genetische Komponente noch den „ungesunden“ Lebensstil ursächlich für die Manifestation dieser Krankheitsbilder verantwortlich machen.
Ganz im Gegensatz dazu haben wir bei der größten Gruppe an Diabetes-Betroffenen, der Gruppe des Diabetes mellitus Typ 2, wirklich eine große Chance, durch zeitgerechtes Gegensteuern und überhaupt frühe Erkennung des Problems mit einem breiten Spektrum an Maßnahmen gegenzusteuern.
Zu Beginn stehen die Fragen: Gehöre ich zu einer Risikogruppe? Was sollte ich als erstes anschauen lassen? Grundsätzlich hat Diabetes mellitus Typ 2 und ganz besonders die kleine Gruppe der MODY-Diabetiker eine sehr hohe genetische Komponente, d. h., die Chance, diese Erkrankung zu bekommen, steigt mit der Häufigkeit des Auftretens dieses Krankheitsbildes in der Familie. Daraus resultiert meine dringende Empfehlung, unter solchen Voraussetzungen bereits sehr früh ein Augenmerk auf die BZ-Werte zu werfen, indem man beim Hausarzt ca. halbjährlich nüchtern BZ-Kontrollen durchführt und im Venenblut (venöses Plasma und nicht Fingerstich mit kapillärem Blut) als Ziel unter 100 oder 2 h nach der letzten Mahlzeit unter 140 haben muss. Wenn die Werte nüchtern zwischen 100 und 126 liegen, sprechen wir bereits von einer gestörten Zuckertoleranz, die dann durchaus engmaschigere Kontrollen nach sich ziehen sollte.
Natürlich kann auch der HbA1c, unser Langzeitzuckerwert, zur Vorsorge herangezogen werden. Um als vollkommen im grünen Bereich zu gelten, muss er unter 5,7 % (39 mmol/mol) liegen, bei Werten zwischen 5,7 und 6,4 % (39 mmol/mol und 48 mmol/mol) sprechen wir auch hier von einer gestörten Glukosetoleranz, und zur Absicherung wird ein definierter Zuckerbelastungstest (oGTT) durchgeführt.
Das Wichtigste ist das Bewusstsein darüber, besonders frühzeitig zu Kontrollen zu gehen, sofern man in seiner engsten Verwandtschaft Diabetiker hat und damit das Risiko für einen selbst durchaus erhöht ist, diese Krankheit zu entwickeln. Wir wissen heute, dass durch Lebensstil-
optimierung die Manifestation der Krankheit Diabetes hinausgezögert werden kann. Besonders das Thema körperliche Bewegung ist v. a. in früheren Lebensjahren viel einfacher vermehrt in den Alltag zu integrieren, und dadurch gelingt es, die beste Prophylaxe gegen die Entwicklung der so problematischen Insulinresistenz, als eine der Hauptprobleme des Diabetes Typ 2, bestens zu etablieren.
Bei der größten Diabetes-mellitus-Typ-2-Risikogruppe fördert erst Bewegungsmangel und Übergewicht diese Resistenz massiv, und es entwickelt sich in weiterer Folge der relative Insulinmangel, der BZ steigt kontinuierlich an, und wir manifestieren den Diabetes mellitus Typ 2.
Bewusstes Essen, bewusst mehr Bewegung und regelmäßige Beobachtung der Laborwerte über den niedergelassenen Hausarzt können uns helfen, die diabetische Entwicklung zu verlangsamen und notwendig werdende Medikationen hinauszuzögern.
An dieser Stelle möchte, ja, muss ich anführen, dass hier gewiss nicht nur der BZ allein für die Verhinderung der diabetischen Folgeerkrankungen verantwortlich ist und daher auch begleitende Faktoren wie Blutdruck und Blutfette maßgeblich beteiligt sind.
Die Selbstkontrolle der Blutdruckwerte und ihre Dokumentation helfen uns Ärzten, hier frühzeitig die Notwendigkeit für eventuell erforderliche medikamentöse Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Auch hier gilt natürlich, wie beim BZ auch, dass vermehrte körperliche Aktivität diese Notwendigkeit lange hinauszögern kann. Aber wenn die Werte erhöht bleiben, müssen wir erforschen, ob eventuell spezielle Ursachen dafür verantwortlich sind. Sofern hier keine Ursache gefunden werden kann, ist es erforderlich, zu behandeln, unabhängig vom Alter.
Ähnliches gilt auch für die Blutfettwerte, diese sind besonders bei bereits manifestierten Diabetikern ein überaus entscheidender Risikofaktor in der Entwicklung von Gefäßproblemen, sodass für Diabetiker die gleichen niedrigen Zielwerte für das schädigende LDL-Cholesterin gelten wie für Patienten, die bereits ein manifestes Gefäßproblem wie nachgewiesene Verengungen, Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten ( LDL unter 55 mg). Daher gilt auch hier, zeitgerecht gegenzusteuern, und dabei ist der Lebensstil zwar auch hilfreich, allerdings vielfach nicht ausreichend. Der Einsatz von zielgerichteten medikamentösen Strategien kann hier Schlimmes verhindern. War in der Vergangenheit oft die Verträglichkeit dieser Strategien ein zentrales Thema, so haben wir heute eine Vielzahl von therapeutischen Optionen, sodass gewiss für jeden die Möglichkeit einer gut verträglichen Medikation dabei sein wird.
Zusammenfassend können wir sagen, je früher wir uns eines Diabetesrisikos bewusstwerden, desto größer ist die Chance, einen problematischen Krankheitsverlauf zu verhindern. Je früher wir in Ergänzung zu einer Verbesserung des Lebensstils unter Beibehaltung unserer individuell definierten Lebensqualität, wenn erforderlich, auch medikamentöse Unterstützung nützen, desto mehr Folgen können wir verhindern.
Denn wir sehen eines immer häufiger: „Bewusste“ Diabetiker leben oft deshalb auch gesünder, weil sie im Vergleich zu „Gesunden“ ihre Schwachstellen kennen und daher gemeinsam mit ihrem Betreuungsteam (Arzt, Diabetesberater …) zeitgerecht gegensteuern können.
Daher bitte die Gesundenuntersuchung in der Hausarztpraxis nützen!

Prim. Dr. Christian Schelkshorn
seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe