Interview: Ernährung bei Diabetes mellitus

In den letzten Ausgaben habe ich viel über die neuen medikamentösen Strategien berichtet, die uns helfen, mit unserem Lebensstil besser zurechtzukommen. Auch die verschiedenen technischen Unterstützungen wie automatisierte Blutzuckerbestimmung (Stichwort: Sensor) helfen uns im Alltag. Die Basis ist und bleibt aber die Verbesserung unseres Lebensstils, und dies ist viel schwieriger als die Akzeptanz medikamentöser Strategien. Im klinischen Alltag denken wir viel über die Möglichkeiten dazu nach, und ich bin überzeugt, dass ein wenig über den heimischen Tellerrand zu blicken Vorteile bringen kann. So darf ich diesmal und in der nächsten Ausgabe über eine Begegnung berichten, die meiner Meinung nach einige sehr interessante Ansätze beinhaltet.

 

Dr.Christian Schelkshorn: Dr. Bernard Schmitt, darf ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen? Sie kommen aus Frankreich, und wir hatten bereits mehrmals das Vergnügen, sowohl persönlich hier in Wien als auch des Öfteren via Internet zu sprechen!


Dr. Bernard Schmitt: Ich heiße Bernard Schmitt, bin ein Arzt und habe mein Medizinstudium in Straßburg absolviert. Anschließend war ich Dozent an der medizinischen Fakultät und praktizierender Arzt am Universitätsklinikum Bordeaux, in weiterer Folge Abteilungsleiter am Centre Hospitalier de Lorient in der Bretagne und Dozent an den Universitäten von Rennes und Brest. Als Spezialist für Innere Medizin sind neben Gastroenterologie vor allem Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechselerkrankungen meine Schwerpunkte. Ich bin außerdem Forschungsdirektor am CERNh (Lehr- und Forschungszentrum für menschliche Ernährung) und Mitbegründer sowie aktuell Kovorsitzender des Ernährungsnetzwerks „Bleu-Blanc-Coeur“ („blau-weißes Herz“).

 

Dr.Christian Schelkshorn: Frankreich ist für uns Österreicher, die auch gerne essen, immer eines jener Länder, die auf gutes Essen besonderen Wert legen, und daher möchte ich in weiterer Folge nicht so sehr die Ernährung allgemein, sondern das Bewusstsein im Zusammenhang mit der Ernährung in den Mittelpunkt unseres Gespräches stellen. Was sind dabei die Hauptprobleme der Diabetiker in Frankreich, und wie sind Sie dazu gekommen, sich mit den Einflüssen der Tiernahrung auf die daraus entstehenden Produkte wie Milch, Eier und Fleisch zu beschäftigen?

 

Dr. Bernard Schmitt: In der Tat gibt es in Frankreich eine sehr starke kulinarische Tradition der Tafelfreuden. Das „gute Essen“ ist mit dem Gefühl des Hedonismus, des Überflusses und des sozialen Teilens verbunden, die stark mit unserer Kultur verknüpft sind. Doch jenseits dieses Bildes sieht die Realität anders aus. Erstens, weil immer mehr Menschen erkennen, dass diese Kultur des „guten Essens“ Gesundheitsrisiken in sich birgt, denn wir essen zu viel, und wir essen schlecht: Die Explosion von „Zivilisationskrankheiten“ stellt nunmehr ein echtes Problem für die öffentliche Gesundheit dar – die Inzidenz von Diabetes hat sich in Europa in den letzten 20 Jahren fast verdreifacht. Adipositas (bei Erwachsenen und Kindern) betrifft 15 % der Bevölkerung und Übergewicht 50 %.
Gleiches gilt für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

 

Zweitens: Bei vielen Menschen, insbesondere bei den Ärmsten, führen wirtschaftliche Zwänge zu mehreren Phänomenen, die sich als schädlich für die Gesundheit erweisen. Das sind z. B. die Suche nach billigen Produkten mit Folgen für die Lebensmittelproduktion (Pflanzen und Tiere), eine Standardisierung, die mit einem Verlust der Artenvielfalt und der Ernährungsqualität der Lebensmittel einhergeht, und eine Internationalisierung der Herkunft von Lebensmitteln, die eine Rückverfolgbarkeit verhindert. Mit anderen Worten: Je sozial und/oder wirtschaftlich schwächer man ist, desto weniger gesundheitsfördernd sind die Lebensmittel, die man im Alltag wählt. Dies erklärt zum großen Teil die starke Zunahme von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen, insbesondere von Fettleibigkeit und Diabetes.

 

Es ist interessant zu betonen, dass die Beziehung zwischen Gesundheit und Ernährung in Frankreich vom Landwirtschaftsministerium und nicht vom Gesundheitsministerium verwaltet wird. Dies entspricht einer Logik, da die Lebensmittelqualität in direktem Zusammenhang mit der Art der Pflanzenproduktion und der Tierhaltung steht. Als Arzt musste ich mich also neben meiner medizinischen Tätigkeit „umschulen“ und mich mit der Welt der Landwirtschaft und der Agrarforschung vertraut machen. Bleu-Blanc-Cœur ist also das Ergebnis dieser „agromedizinischen“ Synthese.

 

Dr.Christian Schelkshorn: Ich habe vor einiger Zeit bei Gesprächen mit Ihnen und anderen europäischen Kollegen die Linie von Bleu-Blanc-Cœur kennengelernt, und es ist eine hochspannende Option, die Ernährung zu verbessern, wobei hier sicher nicht nur die von Diabetes Betroffenen profitieren können. Eine gesündere Ernährung kann hier ein breites Feld an positiven Einflüssen eröffnen und hat sicher auch einen präventiven Charakter für viele gesundheitliche Probleme.

 

Wir sind, was wir essen! Dieses Sprichwort gilt sowohl für Tiere als auch für Menschen. Für den Arzt und Ernährungswissenschafter stellt sich die Frage, wie man Lebensmittel herstellen kann, die gut schmecken, gesund sind und umweltverträglich produziert werden. Eine andere Art, sich dem Problem zu stellen: Es ist immer möglich, einem fettleibigen Menschen oder einem Diabetiker eine strenge Diät zu verschreiben. Aber diese Diäten stehen meist im Gegensatz zu den kulturellen und familiären Essgewohnheiten. Wie lange wird er in der Lage sein, sie einzuhalten? Wenn man ihm hingegen den leichten Zugang zu Lebensmitteln ermöglicht, die aufgrund ihrer Zusammensetzung und eines erschwinglichen Preises hervorragend für die Gesundheit sind, hat der Patient alle Chancen, „gut zu essen“ – sowohl zu seinem Vergnügen als auch für seine Gesundheit, unabhängig von seinen Essgewohnheiten.

 

Was ist nun das „gesündere“ in dieser Ernährungsform? Alle epidemiologischen Studien zeigen, dass es einen gemeinsamen Nenner im Zusammenhang zwischen dem Risiko für Diabetes und Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs gibt: die chronischen Entzündungsprozesse, die mit den Lebensbedingungen und den Umwelt- und Nahrungsbelastungen zusammenhängen. Der wesentliche und natürliche Mechanismus zur Bekämpfung dieser chronischen Entzündung ist jedoch das Vorhandensein von mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren in unserer Ernährung. Sie sind absolut lebensnotwendig, aber wir sind nicht in der Lage, sie herzustellen. Das bedeutet, dass wir sie aus unserer Nahrung beziehen müssen. Aus diesen Omega-3-Fettsäuren entstehen wichtige Moleküle (Prostaglandine und Thromboxan), die entzündungshemmend wirken. Im Gegensatz dazu sind andere Fettsäuren, die ebenfalls unserer Nahrung entnommen werden, die Omega-6-Fettsäuren, in geringen Dosen notwendig, wirken aber entzündungsfördernd und begünstigen Fettleibigkeit, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sobald sie im Übermaß vorhanden sind.

 

Untersuchungen auf europäischer Ebene bestätigen ein großes Defizit an Omega-3-Fettsäuren und einen großen Überschuss an Omega-6-Fettsäuren (w6/w3 > 18 bis 20). Dieses Ungleichgewicht ist in den ost- und nordeuropäischen Ländern (einschließlich Österreich) sowie in den angelsächsischen Ländern am größten, während es in den südeuropäischen Ländern und insbesondere im Mittelmeerraum geringer ist. Dieses Ungleichgewicht hängt zusammen:

 

  • Direkt mit unseren Ernährungsgewohnheiten durch die Verwendung von Speiseölen oder den Verzehr von industrialisierten Gerichten, die vor allem reich an Omega-6-Fettsäuren und gesättigten Fettsäuren sind.
  • Indirekt mit der Viehfütterung, bei der derzeit Mais und Soja bevorzugt werden, die reich an Omega-6-Fettsäuren sind und sich somit in den Produkten (Milch, Fleisch, Eier) wiederfinden, die für unseren Verzehr bestimmt sind. Dies bestätigt, dass die Art der landwirtschaftlichen Produktion einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität unserer Nahrung und auf unsere Gesundheit hat.

 

Aus dieser Erkenntnis heraus wurde die BBC Association gegründet. Ziel war es, eine positive Lebensmittelkette zu schaffen, in der eine kontrollierte angepasste Fütterung der Tiere im finalen Ergebnis zu Lebensmitteln führt, die gut für die menschliche Gesundheit sind. Diese Kette beruht auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage. Zahlreiche Tier- und Humanstudien haben es ermöglicht, die Auswirkungen einer Bleu-Blanc-Cœur-Fütterung auf die Gesundheit zu bewerten: bestätigte Wirksamkeit bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, deutlich geringerer Insulinbedarf bei Diabetikern, Senkung des Blutcholesterinspiegels, Wirksamkeit bei der Bekämpfung von Fettleibigkeit, positive Auswirkungen auf die Gehirnfunktion. Eine aktuell laufende Studie an schwangeren Frauen soll uns ermöglichen, den Einfluss einer BBC-Ernährung auf die Zusammensetzung der Muttermilch, die psychomotorische Entwicklung des Neugeborenen und die potenzielle Prävention späterer Erkrankungen zu bewerten.

 

Aber auch für die Umwelt ist diese Kette vorteilhaft: geringere Treibhausgasemissionen (Methan) bei Rindern, Verbesserung der Artenvielfalt durch die Einführung von Pflanzen mit hohem Omega-3-Gehalt (Gras, Flachs, Ackerbohnen, Lupinen), Verringerung des Stickstoffeinsatzes und Regeneration der Bodenqualität. Diese Vision der „globalen Gesundheit“ (oder „one health“) des Bodens, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen und der Umwelt ist der rote Faden des Gütesiegels Bleu-Blanc-Cœur.


Dr.Christian Schelkshorn: Gibt es besonders für Diabetiker positive Aspekte dabei? Sie haben mir über die positiven Einflüsse auf die Insulinresistenz berichtet. Gibt es dazu bereits einen wissenschaftlichen Studienhintergrund, oder sind dies nur einzelne persönliche Beobachtungen?

 

Dr. Bernard Schmitt: Heute bestätigen zahlreiche Studien den Nutzen einer an Omega-3-Fettsäuren reichen Ernährung für die Diabeteseinstellung. Wir haben eine Studie über die Insulin-Resistenz bei Typ-2-Diabetikern durchgeführt, die Bleu-Blanc-Cœur-Produkte im Vergleich zu Standardprodukten verzehrten (B. Schmitt et al., Effet d'un régime riche en acides gras ω3 et en CLA 9-cis, 11-trans sur l'insulinorésistance et les paramètres du diabète de type 2, OCL 2006, Vol. 13, N° 1): Typ-2-Diabetiker wurden in drei parallele Gruppen randomisiert und 100 Tage lang beobachtet: Diät A (n = 13), die reich an Omega 3 war und einer BBC-Diät entsprach, bei der aber alle Milch- und Fleischprodukte von Wiederkäuern ausgeschlossen waren; Diät B (n = 13), die reich an Omega 3 und konjugierter Linolsäure (CLA) war und einer BBC-Diät entsprach, allerdings zusätzlich ergänzt durch CLA-Milchprodukte und Rindfleisch; und die Kontrolldiät (n = 18), die einer Standarddiät entsprach. Alle diese Diäten waren kalorien- (1.970 kcal pro Tag), fett- und eiweißäquivalent und ähnelten einander in Bezug auf die Art der Nahrungsmittel.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ergebnisse keinen signifikanten Unterschied zwischen Gruppe A und der Kontrollgruppe zeigten. Die Untersuchung der Insulinresistenz (HOMA-Test = Nüchternblutzucker [mmol/l] × Nüchterninsulinämie [mUI/ml]/22,5) bestätigte jedoch, dass in Gruppe B die Insulinresistenz um 28 % abgenommen hatte – und das ganz ohne zusätzliche Medikamente, und somit konnte der positive Einfluss dieser Nahrungszusammensetzung nachgewiesen werden.

 

Wie wir wissen, ist die zuvor genannte Insulinresistenz – die Unempfindlichkeit gegenüber dem Hormon Insulin – ein oft schwer beeinflussbarer Faktor. Wenn es uns im Vorbeigehen gelingt, diese Resistenz durch unsere Ernährung und natürlich auch durch körperliche Aktivität positiv zu verändern, hilft dies im Alltag, unsere BZ-Situation zu verbessern.

Dr. Schelkshorn

Prim. Dr. Christian Schelkshorn

seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener 
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe

Auch oft gelesen:

Artikel teilen

Mein Leben plus

Verpassen Sie nichts. Melden Sie sich noch heute zu unserem Newsletter an!