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Diabetischer Fuß - die chronische Wunde

Fakten:


In Österreich sind knapp 600.000 Menschen an Diabetes mellitus (DM) erkrankt (Quelle: International Diabetes Federation, IDF), und die Zahl der Betroffenen steigt weiter.


2015 erkrankten in Österreich 250.000 Menschen an einer chronischen Wunde. 50 % dieser Patienten sind Menschen mit dem diabetischen Fußsyndrom (DFS).


Die Wahrscheinlichkeit, ein diabetisches Geschwür zu entwickeln, beträgt für die gesamte Lebensdauer eines Menschen mit Diabetes 19–34 %. Dies ist auch auf die immer höhere Lebenserwartung und die damit verbundene Multimorbidität zurückzuführen; das heißt, durch die hervorragende medizinische Betreuung der Betroffenen in Österreich wird man älter, aber man erlebt dadurch auch die mit der Grunderkrankung verbundenen Komplikationen. Beim DM sind das vornehmlich die Veränderungen an den Augen (Retinopathie), an den Nieren (Nephropathie) und an den Füßen (diabetisches Fußsyndrom). DM stellt hier auch die häufigste Ursache für eine nichttraumatische Amputation (ein Gliedmaßenverlust ohne Verletzung) dar, welche ca. 1 % der Menschen mit DM in ihrem Leben widerfährt (Quelle: IDF Cical Practice Recommendations on the Diabetic Foot 2017).


Jedes Jahr werden in Österreich zwischen 2.500 und 3.000 Amputationen an Patienten mit DM vorgenommen. Das sind 62 % aller Amputationen. Die Amputationsrate beim diabetischen Fußsyndrom konnte in den letzten 25 Jahren nicht gesenkt werden.


OECD Health Statistics 2017


Österreich liegt in dieser Statistik (betreffend die Amputationen der Gliedmaßen) auf dem traurigen drittletzten Platz. Durch die Amputationen ist das diabetische Fußsyndrom eine der teuersten Folgeerkrankungen des Diabetes, und es beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen in hohem Maße, bis hin zur sozialen Isolation. Nur 15 % der Betroffenen erhielten eine State-of -the-Art-Wundversorgung (Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst). Um die Patienten in ihrer Genesung zu unterstützen, ist eine Behandlung nach den neusten Kenntnissen jedoch obligat. Immer häufiger werden spezialisierte Zentren zur Behandlung chronischer Wundheilungsstörungen gefordert – Wundzentren.


Die hohe Anzahl an verstümmelnden Operationen bei Menschen mit Diabetes führte im Frühjahr 2020 zu einer parlamentarischen Anfrage in Österreich – das Ergebnis ist noch ausständig. Ziel ist es, die derzeitige Amputationsrate von 20 % deutlich zu senken.


Definition der chronischen Wunde


Eine Verletzung der Haut und einer oder mehrerer darunter liegender Strukturen (z. B. Fettgewebe, Sehnen oder Muskeln und Knochen) mit einer verzögerten Abheilung innerhalb von acht Wochen definiert eine chronische Wunde. Abgesehen von dieser zeitlich orientierten Definition gibt es Wunden, welche von Beginn an als chronisch anzusehen sind. Hierzu gehören unter anderem das diabetische Fußsyndrom, arterielle/venöse Geschwüre oder der Dekubitus (Wundliegen). Mit dem Auftreten erster Symptome, charakterisiert durch ein buntes klinisches Bild, ist das moderne Wundmanagement, das „Case Management“ (= die Rundumversorgung der Betroffenen) gefordert.


Das diabetische Fußsyndrom


Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine Folge von Komplikationen des DM, die zu einer Beeinträchtigung der Mobilität und der Lebensqualität führen. Entscheidend für das weitere Verständnis des DFS ist, dass bereits bei der Dia-gnosestellung DM auch das DFS vorhanden ist, ohne Krankheitsveränderungen, ohne Symptome = INAKTIVE PHASE. Hier spielt der Fuß-Check, die Vorsorge, eine wesentliche Rolle.


Vorsorgeuntersuchungen der Füße sind fixer Bestandteil im Zuge des Diabetes-Jahres-Check in den Diabetes-Spezialambulanzen, im Zuge von „Therapie Aktiv“ und in Wundzentren. Nach eingehender Untersuchung der Füße wird für Menschen mit Diabetes ein Risikoprofil erstellt, Kontrolltermine werden vereinbart und, wenn erforderlich, bereits Maßnahmen gesetzt (z. B. Verordnung von Weichbettungseinlagen, orthopädische Schuhe), um ein Fortschreiten des DFS zu verhindern. Das Angebot dieser Vorsorge sollte man unbedingt annehmen.


20 % der betroffenen Diabetiker treten jedoch in das Vollbild des DFS ein, in die Manifestation = AKTIVE PHASE. Hier ist bereits die Schwiele an der Fußsohle als erstes Krankheitssymptom zu werten. Nach dem erstmaligen Auftreten von Komplikationen besteht das manifeste DFS ein Leben lang, da es bisher nicht gelungen ist, die zugrunde liegenden Diabeteskomplikationen zu heilen (Arm-strong und Mills, 2013). Unter dem Begriff des diabetischen Fußsyndroms werden verschiedene Krankheitsbilder zusammengefasst, die durch unterschiedliche Ursachen und die krankhaften Veränderungen, welche zum Krankheitsbild führen, gekennzeichnet sind. Allen gemeinsam ist, dass Läsionen am Fuß zu Komplikationen führen können, die bei verzögerter oder unsachgemäßer Behandlung die Amputation der gesamten Extremität zur Folge haben können. Ursächlich sind Erkrankungen der Gefäßstrombahnen sowie Defizite der Nervenbahnen. Geschwüre und/oder abgestorbene Gewebeanteile entwickeln sich meist als Folge von immer wiederkehrendem Stress (Druckpunktfehlbelastungen) bei eingeschränkter Schmerzempfindung (hohe Druckbelastung und Scherkräfte, insbesondere bei Fuß- und Zehendeformitäten).


Risikofaktoren: Nervenschädigungen, periphere 
arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), ungeeignetes Schuhwerk, Verletzungen, Fußdeformitäten, eingeschränkte Gelenkmobilität, Hornhautschwielen, biospsychosoziale Faktoren (z. B. Depression, Vernachlässigung, Krankheitsüberzeugungen, fehlende soziale Unterstützung und soziale Isolation). Die Herausforderung im Wundmanagement liegt in der Vielfalt der unterschiedlichen klinischen Verläufe, aber auch in der Empathie aller Beteiligten, das heißt, auch in der Bereitschaft des Patienten, aktiver Bestandteil der Therapie zu sein. Zusätzlich werden die ursächlichen Risikofaktoren durch ein höheres Lebensalter, Adipositas, psychischen Stress, Lifestyle (Nikotin-, Alkoholabusus, nutritive Defizite), Bewegungsarmut, Malignome und Medikamenteneinnahme (Kortikoide) potenziert.


Diagnose und Therapie


Für eine erfolgreiche Therapie chronischer Wunden ist die Ursachenklärung und die Behandlung zugrundeliegender pathophysiologisch relevanter Erkrankungen bzw. die Eliminierung von Störfaktoren unumgänglich. Parallel dazu erfolgt die stadiengerechte Lokaltherapie.


Zur Diagnostik chronischer Wunden hat sich die ABCDE-Regel etabliert


A – Anamnese (Krankheitsverlauf)
Sie sollte immer der erste Schritt in der Diagnostik sein. Patienten werden u. a. zur aktuellen Wunde wie auch zu Wunden in der Vergangenheit sowie Begleiterkrankungen befragt. Hier spielt die BZ-Einstellung, repräsentiert durch den aktuelle HbA1C-Wert, eine große Rolle.


B – Bakterien
Die Bakterien sind selten die alleinige Ursache für chronische Wunden. Die Bakteriendiagnostik ist aber insbesondere wegen der Untersuchung auf multiresistente Erreger (Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind) wichtig. Im Zuge eines Wundabstriches werden Kultur, Resistenz und Antibiogramm bestimmt, eine gezielte Antibiotikatherapie kann eingeleitet werden und verhindert so die gefürchteten Antibiotikaresistenzen.


C – klinische Untersuchung
Bei der klinischen Untersuchung sind neben der Manifestation der Wunden auch Wundrand und -umgebung wichtig. Hier können Hinweise auf die Genese und Komplikationen gefunden werden. Unterstützt wird die Untersuchung durch eine standardisierte Fotodokumentation.


D – Durchblutung
Sowohl das arterielle, das venöse als auch das lymphatische Gefäßsystem sollten für die Abklärung der Durchblutung und den Heilungserfolg immer untersucht werden.


E – Extras
Es gibt viele weiterführende Diagnostikverfahren, die zielgerichtet eingesetzt werden können. Die Untersuchung des peripheren Nervensystems ist aus der Diagnostik nicht mehr wegzudenken (z. B.: Stimmgabeltest, Messung der Nervenleitgeschwindigkeit). Die Entnahme von Gewebeproben aus der Wunde kann zu wertvollen Ergebnissen führen, die den weiteren Behandlungserfolg entscheidend beeinflussen können.


Stadiengerechte Lokaltherapie


Die Vorbereitung des Wundbettes ist wichtig, um eine chronische Wunde in eine aktive, heilende Wunde umzuwandeln. Die Wundheilung wird durch abgestorbenes Gewebe, Fremdkörper, Beläge behindert, weshalb eine Abtragung bis zu intakten anatomischen Strukturen durchgeführt werden muss (die chirurgische Wundbehandlung – siehe Abb. 3). Nach der Entfernung von totem Gewebe wird versucht, in eine granulierende Wunde überzugehen.


Die Feuchtigkeitsbilanz


Die Feuchtigkeitsbalance ist seit mehreren Jahrzehnten der Goldstandard für die Behandlung chronischer Wunden. Wichtig ist, darauf zu achten, dass die Wunde feucht ist, aber nicht nass und nicht trocken. Wundauflagen helfen dabei, das für die Wunde beste Milieu zu erstellen.


Sauerstoffbalance


Bei der Therapie chronischer Wunden spielt die Sauerstoffarmut bei nahezu allen Wundarten eine zentrale Rolle. Für die Lokaltherapie bedeutet dies, dass Maßnahmen wie die Wiederherstellung der Durchblutung (Arterien) oder Kompressionstherapien (Venen und Lymphe) wesentliche Behandlungsoptionen sind.


Infektionskontrolle


Die Infektionskontrolle beschreibt sämtliche antimikrobiellen Strategien. Systemische antibiotische Therapie ist meist ausschließlich bei Infektionskrankheiten indiziert.


Gewebemanagement 


Das Gewebemanagement beschreibt alle Maßnahmen der Wundbehandlung, zum Beispiel mit Wundauflagen, Biochirurgie (z. B. Madentherapie) oder physikalischen Hilfsmitteln wie Unterdruck, Strom, Plasma oder Ultraschall. Hier spielt die Erfahrung des behandelnden Teams eine sehr große Rolle.


Begleitmaßnahmen


Unumstritten ist bei der Behandlung chronischer Wunden die Schonung der betroffenen Region. Verbandschuhe (siehe Abb. 4), Tertiärverbände (z. B. lymphdrainierende Verbände, Kompressionsverbände, Zinkleimverbände etc.) und Distanzentlastungsverbände sind im Therapieregime nicht mehr wegzudenken.


Als essenziell ist jedoch die Einbindung des Betroffenen in das Therapieregime zu werten. Kooperation und Disziplin müssen eingefordert werden, der Betroffene kann sich der Eigenverantwortung nicht mehr entziehen.


Fazit


Die Behandlung chronischer Wunden stellt eine Herausforderung an die Behandler dar. Kenntnisse über die Wundheilungsphasen und mögliche Störfaktoren sowie über die Eigenschaften einsetzbarer Wundauflagen sind unumgänglich. Eine Ursachenabklärung und Mitbehandlung dieser sowie die Vorbereitung des Wundbettes sind essenziell für den Heilungserfolg.


Wundmanagement – QUO VADIS – 
WOHIN GEHST DU?


„Irrwege, fehlende Ansprechpartner, ein Dschungel von Verbandsmaterialien und viele verschiedene Meinungen“ – hiervon berichten Betroffene und Angehörige, aber auch Behandler. In Österreich dauert es im Durchschnitt 3,5 Jahre, bis ein Patient mit einer chronischen Wunde fachärztlich behandelt und einer kausalen Therapie zugeführt wird.
Oft wissen die Betroffenen gar nicht, an wen sie sich überhaupt wenden können. Die Bedeutung chronischer Wunden spiegelt sich auch beim Anteil an den Gesundheitskosten wider. In industrialisierten Ländern werden 3 bis 3,5 % des Gesundheitsbudgets für die Behandlung und das Management chronischer Wunden ausgegeben. Auf Österreich umgerechnet sind das etwa 1,2 bis 2,2 Milliarden Euro.


Der Vorsorge und der stadiengerechten Therapie bei bestehender Wunde kommen große Bedeutung zu. Eine frühzeitige Behandlung kann das neuerliche Auftreten der Erkrankung und die Therapiedauer vermindern und die daraus resultierenden Folgekosten verringern. Als Defizite der Versorgung, welche maßgeblich zu den hohen direkten und indirekten Kosten der Behandlung beitragen, sind die fehlende Früh-erkennung, die zu späte sachgerechte Diagnostik sowie die oft unzureichende bzw. nicht vorhandene Behandlung der Ursache der Erkrankung zu nennen. 


Die Versorgung von Patienten mit chronischen Wunden durch ein interprofessionelles Team mit einem adäquaten Schnittstellenmanagement geht mit einer Verkürzung der Heilungszeit sowie mit einer Reduktion der Kosten einher. Kommunikation und Informationsaustausch zwischen den betreuenden Schnittstellen sowie innerhalb der ambulanten Versorgungseinheiten zwischen den einzelnen Versorgungspartnern muss gegeben sein. Dieser Austausch kann zum Erreichen einer verbesserten Versorgung und einer Versorgungskontinuität beitragen. Die Liste der Involvierten beinhaltet unter anderem: Hausärzte, Chirurgen (inkl. Gefäßchirurgen, Plastische Chirurgen), Radiologen (inkl. Intervention), diplomiertes Pflegepersonal, Diabetologen, Diätologen, Mikrobiologen, Podologen, Schuhorthopädietechniker, Prothesentechniker, Psychologen, Spitäler, Apotheken, Schmerztherapeuten und noch viele mehr. Keine Berufsgruppe kann eine adäquate Wundversorgung chronischer Wunden allein bewältigen. Die Herausforderungen für eine interprofessionelle, interdisziplinäre und transsektorale Versorgung im Bereich von chronischen Wunden sind groß. Es ist ein Ablauf erstrebenswert, der für alle beteiligten Berufsgruppen transparent, kontinuierlich und qualitätsgesichert ist. Ein derartiges Netzwerk entlastet jede einzelne Berufsgruppe und bietet die optimale Versorgungsstruktur für die Betroffenen. Unter-, Über- und Fehlversorgung werden vermieden, und der Patient steht im Mittelpunkt! Ziel ist ein Netzwerk – ein WUNDNETZ!

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