Eine der häufigsten Fragen, die mir sowohl in meiner Ambulanzarbeit als auch in der Ordination von PatientInnen, die erstmals mit dem Thema Diabetes mellitus konfrontiert sind, gestellt wird, lautet: „MUSS ich jetzt Insulin SPRITZEN, bzw. Insulin brauche ich doch hoffentlich noch keines?“ Meine erste Antwort ist immer die gleiche: Entweder wir haben noch genug eigenes Insulin oder wir brauchen Unterstützung. Da unsere Typ-2-Diabetiker ja nicht nur das Insulindefizit mit sich führen, sondern vor allem auch eine die Krankheit begleitende Insulinresistenz, das heißt Unempfindlichkeit für Insulin, liegt es somit an unserem Lebensstil und wie wir damit verbunden mit der Restinsulinfunktion zurechtkommen. Natürlich helfen viele klassische und innovative Strategien, dieses „Zurechtkommen“ zu erleichtern – am Ende des Tages allerdings ist und bleibt der Erfolg abhängig vom Insulin.
Insulin ist als blutzuckerregulierendes Hormon verantwortlich dafür, dass alle unsere Körperzellen mit der Energie ZUCKER versorgt werden. Es öffnet für ihn unsere Zellen und hält uns am Leben. Es ist daher lebensnotwendig. Wo liegt nun die Schwierigkeit, dieses Insulin, wenn wir es nicht ausreichend produzieren können oder wenn die Wirkung des Insulins durch die zuvor bereits angesprochene Resistenz verringert ist, optimal zu ersetzen? Wie viele von Ihnen vielleicht in den vergangenen Ausgaben dieser Zeitschrift gelesen haben, gibt es heute viele sehr unterschiedliche Insuline, die uns zur Anwendung zur Verfügung stehen. Diese unterschiedlichen Wirkprofile helfen ganz gezielt, dort anzusetzen, wo wir Unterstützung bzw. den Ersatz des nicht vorhandenen eigenen Hormons Insulin benötigen. Zwei Probleme bzw. Schwachpunkte bleiben allerdings immer wieder im Alltag bestehen. Erstens die Dosierung: Der natürliche, physiologische Mechanismus erlaubt eine unglaublich feine Abstimmung zwischen Insulinabgabe, Wirkbeginn und Wirkende. Alle Beeinflussungen der DOSIS und WIRKUNG des körpereigenen Insulins werden hier automatisch mit eingebunden. Das bedeutet: Jede Form der Bewegung, jede emotionale Thematik (Stress), jede noch so kleine Mahlzeit fließen hier ein, und ein gesunder, nichtdiabetischer Stoffwechsel kann die Insulinabgabe in einem unglaublichen FINE TUNING differenziert steuern.
Zu guter Letzt ist die Abgabe des körpereigenen Insulins nicht subkutan, unter die Haut, sondern direkt in den Kreislauf ein niemals optimal nachzubildender Faktor. Zwar können Insulinpumpen hier bereits vieles optimieren, aber zuletzt bleibt immer ein kleiner Unterschied bestehen.
Wenn wir jetzt über Nebenwirkungen von INSULIN sprechen, so gibt es 3 1/2 Punkte, die hierbei angeführt und angesprochen werden müssen.
Ich darf mit dem halben Punkt beginnen: All diejenigen, die intensiv mit Diabetes-PatientInnen, die Insulin benötigen, befasst sind, wissen, dass Allergien auf Injektionsinsulin glücklicherweise eine seltene Ausnahme darstellen und somit eine Rarität sind. Wenn sie auftreten, sind meist Begleitstoffe dafür verantwortlich, und wir müssen versuchen, durch ein Durchtesten aller uns heute zur Verfügung stehenden Präparate das Passende zu finden.
Die weiteren „Nebenwirkungen“ können einfach in drei Punkten zusammengefasst werden: 1) Hypoglykämie, 2) Gewichtszunahme und 3) lokale Veränderungen.
Zu Punkt eins ist anzuführen, dass letztendlich immer das Gleichgewicht zwischen Insulinwirkung und Insulindosis in Abhängigkeit von der Kohlenhydratzufuhr und Insulinempfindlichkeit zu sehen ist. Dabei sind wiederum vor allem die aktuelle körperliche Bewegung und die Stressfaktoren die Faktoren, welche die Insulinresistenz bzw. -sensibilität beeinflussen. Hypoglykämien sollen verhindert werden, und dabei hilft uns heute sicher die breite Palette an unterschiedlichen Insulinen sowohl im Basal- als auch Bolus-Bereich sowie die heute in verschiedenen Verhältnissen zur Verfügung stehenden Misch-
insuline. Ergänzend dazu haben wir auch die bereits in den vorigen Ausgaben beschriebenen warnenden Blutzuckersensoren zur Verfügung, wenngleich für den Kostenersatz von Seiten der Krankenkasse eine komplexere Insulintherapie eine Voraussetzung darstellt.
Wie bereits in der letzten Ausgabe beschrieben, ist Punkt zwei, die Gewichtszunahme unter Insulin, gewiss eines der oft problematischen Begleitprobleme. Hier können wir grundsätzlich nur durch drei Faktoren gegensteuern: 1. Verstärkung der körperlichen Aktivität zum Erzielen einer höheren Insulinsensibilität und damit verbunden eines geringeren Insulinbedarfs; 2. Einbindung eines GLP-1-Agonisten zur Reduktion des durch Insulin mitausgelösten erhöhten Appetits; und 3. die lokalen Veränderungen. Diese sind meist dann zu beobachten, wenn Betroffene sich daran gewohnt haben, immer dieselbe Stelle oder Region für ihre Insulininjektion zu wählen, zusätzlich vielleicht auch die Pen-Nadeln öfter verwenden. Dabei können sich im Laufe der Jahre Gewebeveränderungen entwickeln, die letztendlich die Insulinwirkung deutlich reduzieren. Daher ist es für das begleitende Team aus ÄrztInnen und Pflege wichtig, einerseits die Spritzstellen immer wieder zu kontrollieren und andererseits bereits in der Schulung der Insulininjektionen besonders darauf zu verweisen. So können diese Nebenwirkungen in der Regel verhindert werden.
Zusammenfassend möchte ich betonen, dass die Therapie mit Insulin in den vergangenen Jahren mit all den therapieunterstützenden Hilfsmitteln – vom Pen (wir sprechen heute nicht mehr wirklich von einer „Insulinspritze“) bis hin zu den begleitenden, oft automatisierten BZ-Kontrollmöglichkeiten – sehr viel angenehmer und auch sicherer geworden ist.
Prim. Dr. Christian Schelkshorn
seit 40 Jahren Typ-1-Betroffener
seit 24 Jahren Internist und Diabetologe