Hyperglykämie beim Sport?

Gestern habe ich zwei Stunden intensives Training gehabt und war verwundert, dass mein Blutzucker nach der Belastung höher war als vor Beginn meiner Trainingseinheit. Gestartet habe ich mit 155 mg%, also ideal nach meiner Meinung, gelandet bin ich bei 225 mg%. Das kann ich mir nicht erklären. Hypoglykämien beim Sport, damit rechnet man, aber nicht mit einem Blutzuckeranstieg. Was habe ich falsch gemacht?“

 

Nicht selten werden wir Diabetologen während der Diabetesberatung mit dieser Frage konfrontiert. Wichtig ist: Man hat nichts falsch gemacht, sondern man lernt daraus, dass die Muskelphysiologie eine sehr komplexe Angelegenheit und von vielen Faktoren abhängig ist. „Trial and error“ ist die Devise.

 

Betrachten wir die Stoffwechselvorgänge der Muskulatur bei körperlicher Betätigung:

Es ist uns allen klar, dass der Muskel bei Belastung mehr Energie verbraucht als im Ruhezustand. Im Ruhezustand sprechen wir vom Grundumsatz. In Ruhe deckt die Skelettmuskulatur fast zur Gänze den Energiebedarf durch die Oxidation von freien Fettsäuren. Der Mehrverbrauch an Energie ist natürlich abhängig vom Trainingszustand, von der Intensität und der Dauer einer Belastung und kann das bis zu 10-Fache des Ruhebedarfs ausmachen. 

 

Über drei wesentliche Arten kann dieser Mehrbedarf reguliert werden:

  • über die eigenen Muskelzuckerreserven (Muskelglykogen)

  • über den Blutzucker

  • über Fettsäureoxydation

 

Insulin ist für die Glukoseaufnahme in die Muskelzelle notwendig. Bei Aktivitätsbeginn wird die Insulinfreisetzung gedrosselt, sonst würde es ja zu einer Unterzuckerung kommen. Um den Blutzucker im Gleichgewicht zu halten, wird über die Leber Glukose (hepatische Glukosefreisetzung) bereitgestellt. Infolge der verminderten Insulinproduktion lässt auch die Hemmung der Lipolyse (Fettabbau) nach, und es kommt zu einer Vermehrung von freien Fettsäuren und Glyzerin. Der an der Muskelzellwand arbeitende Glukosetransporter (GLUT-4) wird vermehrt an die Muskelwand gebracht und ist befähigt, mehr und auch rascher Glukosemoleküle in das Innere der Muskelzelle zu bringen.

 

Hormone beeinflussen zusätzlich diese Stoffwechselvorgänge:

Kontrainsulinäre Hormone (Adrenalin, Kortisol, HGH ...) hemmen die Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse, d. h., der Insulinspiegel im Blut sinkt. Bei Wettkämpfen werden diese Stresshormone in hohen Konzentrationen ins Blut abgegeben. Abhängig von Dauer und Intensität der muskulären Belastung entleeren sich die hepatischen und muskulären Glukosespeicher, und die Auffüllung dieser Speicher kann bis zu 48 Stunden dauern.

 

Merke:

Muskelaktivität steigert diesen Vorgang insulinunabhängig, die Eigenkontraktion des Muskels entspricht somit der physiologischen Insulinwirkung!!!

 

Was passiert nun, wenn die endogene Insulinsekretion wie beim DM1 fehlt?

 

Die physiologischen Vorgänge sind gestört, eine perfekte Abstimmung ist nicht möglich. Das injizierte Insulin führt immer zu einem relativen Insulinüberschuss, und eine der plötzlichen Bewegung entsprechende Anpassung ist einfach nicht möglich (das Insulin ist ja schon im Körper unterwegs, sei es das Basis- oder auch das Bolusinsulin). Insulinpumpen mit CGM stellen hier eine deutliche Bereicherung dar (Closed-Loop-Systeme werden das in Zukunft noch verbessern). 

 

Der relative Insulinüberschuss behindert die hepatische Glukosefreisetzung, aber auch die Lipolyse und somit die Bereitstellung von freien Fettsäuren und Glyzerin. Startet der Diabetiker bei niedrigen oder auch bei normoglykämischen Blutzuckerwerten das Training, kann die uns allen bekannte Hypoglykämie die Folge sein. Wenn ein relativer Insulinmangel vorliegt, kann auch bei guten Blutzuckerwerten zu Beginn einer Aktivität nach der Belastung der Blutzucker ansteigen, und man ist überrascht über diesen Ausgang. Hoher Blutzuckerwert am Beginn meiner Aktivität kann Zeichen eines absoluten Insulinmangels sein, und die Werte steigen kontinuierlich an, bei gleichzeitiger Produktion von Azeton. 

 

Kontrainsulinäre Stresshormone (wie sie bei Wettkämpfen vermehrt ausgeschüttet werden) können ebenfalls zu einem relativen Insulinmangel führen. Sie steigern die hepatische Glukosefreisetzung, die Glukoseaufnahme in den Muskel ist verringert, der Muskel deckt seinen Energiebedarf zur Gänze aus den freien Fettsäuren, der Blutzucker steigt weiter an, und es kann sogar zur Entwicklung von Ketoazidosen kommen – eine Situation, die sowohl bei den Betreuern als auch bei den Patienten oftmals Verwirrung hervorruft. Durch die Möglichkeit der CGM ist es heute möglich, gerade beim Leistungssportler mit diesen Situationen besser fertig zu werden.

 

Checklisten sind sehr hilfreich:

 

Checkliste vor dem Sport:

  • Blutzucker wie hoch? Azeton ja oder nein?

  • Wann Sport?

  • Wie lange und wie intensiv Sport?

  • Wie viel und welches Insulin wirkt dann?

  • Wie lange wirkt der Sport auf den Organismus nach?

  • KH-Zufuhr ja oder nein?

 

Checkliste bei Hyperglykämie:

  • Letzter Bolus zu klein?

  • Bolus vergessen?

  • Basale Insulinversorgung zu stark abgesenkt?

  • Insulinpumpe zu lange abgelegt?

  • Insulinversorgung unterbrochen?

  • Intensität oder Dauer der Belastung geringer als angenommen?

  • Zu viele Zusatz-BE?

  • Stress? Wettkampf?

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